Richard Buckminster
Fuller - Das World Game
„Think global, act local“, “Don’t fight forces, use them“ „Doing the most
with the least“. Diese Statements gehören heutzutage zum allgemeinen
Kulturverständnis unseres Planeten. Access to Tools, Vernetzung, Digital
Community sind in einer planetarischen Gesellschaft nicht mehr weg zu denken.
Seit wir Konzepte wie Umwelt, weltklimatische Prognosen, atmosphärische
Zustände, Welterbe, Eroberung des Himmels wahrgenommen und in unser Vokabular
aufgenommen haben, akzeptieren wir die ganze Erde als unsere Heimat und
führen diese Vorstellung selbstverständlich in unserem Diskurs.
Richard Buckminster Fuller ist nicht nur der Autor der oben genannten
Gedanken, der diese Begriffe prägend benutzt hat und somit einflussreicher
Vordenker der Gesellschaft der 21. Jahrhunderts war, er ist auch ein in
unserer provinzialistischen, mit Mauern ausgrenzende Gesellschaft noch immer
fast ein Unbekannter, nur Spezialisten ein Begriff. Wegen seines Unit House,
seiner Shelters und Geodesic Domes kennen ihn Architekten; wegen seiner
Sphären, Polaritäten, schaumartigen Konstruktionen, der Bezüge zum
platonischen Timaios, den Jitterbug Wandlungen ist er bedeutend für die
Philosophen; wegen seines Zeitverständnisses, seiner Chronofiles, des 4D Time
Lock, seines Beitrages zum „Indeterminismus“ von Heisenberg von
Quantenphysikern beachtet und geachtet, wegen seiner Chains to the Moon
aufregend für die alternativen Gruppierungen der 1960er Jahre. Mit allen war
er bei Du, aber bei uns, mitten in der Gesellschaft, ist er nicht wirklich
angekommen.
Es gibt eine Reihe von bildenden Künstlern, die sich bewusst oder unbewusst
mit dem planetarischen Universum, das Buckminster Fuller beschrieben hat,
auseinander gesetzt haben. Es gibt, unseres Wissen nach, nur eine Ausstellung
(„Your Private Sky“, Museum für Gestaltung Zürich 1999, Wanderausstellung)
die ein gesamtes Bild über Fuller gezeigt hat. Die technischen Möglichkeiten,
die sich im 21. Jahrhundert eröffnet haben, bieten aber erst jetzt ein reales
Szenario um das Weltgut von Fuller mit den heutigen unzähligen Initiativen
und Geschehnissen zu verbinden, zu visualisieren und darüber hinaus unsere
Situation im atmosphärischen Zeitalter klarer darzustellen. Eine Möglichkeit,
die es früher nicht gab.
Ein Aspekt, sich in einer ersten Phase, einem ersten Schritt diesem
umfangreichen Unterfangen zu widmen, ist das World Game.
Das World Game ist ein umfassendes Projekt von Buckminster Fuller, das
verschiedene Aspekte seiner Arbeit, seiner Visionen einschließt: damit sind
auch die unterschiedlichen Sphären, die er mit seinen Projekten, Initiativen,
Vorträgen und Präsentationen angeregt hat, gemeint.
Im World Game sind vier zentrale Aspekte seiner Kosmovision involviert:
- Die zweidimensionale unverfälschte Darstellung eines
vierdimensionalen Planet;
- Die globale Vernetzung als Gegenpol zum spezialisierten
Insel-Wissen;
- Die gegenständliche graphische bildnerische Wahrnehmung,
die ein komprehensives (= inneres, immanentes) Verständnis des Planeten Erde
darstellt bzw. ermöglicht;
- Die Real Time Information.
Das World Game ist Thema unserer Ausstellung.
Spätestens seit Martin Waldseemüller (ca. 1470 – ca. 1520) versuchen die
Menschen von der sphärischen Darstellung des Planeten zu einer flachen
unverfälschten Version zu gelangen. Fuller hat 1943 durch die Dymaxion Map
das Ziel erreicht. Damit haben wir jetzt zum ersten Mal in der Geschichte
unseres Planeten die Möglichkeit, die Welt in ihrer Gesamtheit wahrhaftig zu
sehen. Die globale Vernetzung, in der es kein oben und kein unten gibt, wo es
kein Zentrum gibt, sondern alles Peripherie ist und sich dadurch kein
menschliches Wesen als Oberhaupt des Planet behaupten kann oder als Subjekt
über das alle Wege führen und das letzte Instanz ist - all das hat Fuller mit
seinem distributed network erkannt und damit das Vorfeld dessen bereitet, was
heute als selbstverständlich gilt: die mit den weltumspannenden Computern,
den Satelliten und Telefonen verbundene, grundsätzliche Vernetzung. Tools wie
Skype, Twitter, Facebook oder iPhone sind die logische Konsequenz. Die
grafische Identifizierung der Ressourcen dieser Planet auf einer Dymaxion Map
und dazu die Information über solche Ressourcen in Real Time, ermöglicht den
Erdbewohnern, Terraniern oder Dwellings, wie Fuller sie nannte, nicht nur die
Wahrnehmung geographischer Konzentration und Spezialisierung solcher
Ressourcen, sondern sie bietet auch dem Individuum die Möglichkeit,
Initiative zu ergreifen auf der Basis eines realen, faktischen, nicht
übersehbaren Wissens. Das World Game übernimmt diese vier Aspekte und
übersetzt sie in einem Spiel.
Ein Spiel ist ein System, das von einer anfänglichen Gleichheit zu einer
Ungleichheit führt. Ein Spiel wird interessant, wenn es Aspekte einer Kultur
anspricht, wenn die Spieler in der Lage sind, Überblick über Gegebenheiten zu
gewinnen und darüber hinaus diese Fakten zu beherrschen, wenn ein Spieler
eine gewisse Macht über den Mitspieler ausüben kann, um die ursprüngliche
Gleichheit, die am Anfang jedes Spieles herrscht, für sich selbst zu
instrumentalisieren, damit er oder sie am Ende einen Vorteil gegenüber dem
anderen erreichen kann. Man kann nicht über Spiel sprechen, ohne über die
Polarität von gleich/ungleich, Regel/Ausnahme, Gewinner/Verlierer,
Macht/Ohnmacht, Tension/Dispersion, Spannung/Entspannung zu sprechen. Diese
Polarität, als Teil eines Ganzen, macht ein Spiel spielbar. Die Komplexität
der Regel ist aber kein Parameter, um ein Spiel interessant zu machen.
Aleksej Iwanowitsch, der Spieler bei Dostojevski, kann sich vom einfachen
Roulettespiel nicht trennen. Jorge Luis Borges beschreibt in der Lotterie von
Babel ein Lottospiel, bei dem alle Teilnehmer gewinnen. Buckminster Fuller
hat sich ein World Game ausgedacht, bei dem von einer anfänglichen
Ungleichheit ausgegangen wird - also am Anfang des Spieles die Spieler von
einer unterschiedlichen, ungerechten Ausgangslage ausgehen - und als Ziel die
Gleichheit zu erreichen ist.
Für dieses Spiel werden wir eine dimaxionische Interphase bauen, die
gleichzeitig von Streams aus der ganzen Welt gespeist wird. Ein Baustein
davon kann das Projekt 80+1 von Linz09 sein, ein Stream, über den unterschiedliche
Projekte nach Linz gelinkt worden sind. Weitere Bausteine sind aber auch
Zentralen von Ressourcen und Rohstoffen, die verlinkt werden, wie zum
Beispiel Elektrizitätswerke, Sender von wirtschaftlichen Indikatoren wie
Börsen oder Häfen sowie Nahrungsmittelzentren oder Multiplikatoren von
Informationen und Nachrichten. Alle diese Quellen sollen in Real Time über
einen planetarischen Atlas oder Dymaxion übertragen werden. Die
Besucher/Spieler werden so einen realen Einblick in den Zustand der Welt mit
den eigenen Sinnen betrachten und erfassen können. Sie sollen oder können in
diesem Spiel Maßnamen setzen, bzw. vorschlagen, um die beobachtete
Ungleichheit, die auf dem Planet herrscht, zu korrigieren. Die Gewinner
dieses Spieles sind diejenigen, die eine Gleichheit generieren können, der
alle anderen Mitspieler zustimmen können.
Mit der Unterstützung von paraflows - Festival für Digitale Kunst und
Kulturen und das Ars Electronica Center in Linz könnte dieses Projekt
eine ideale Plattform finden. Trotzdem ist die Finanzierung dabei bei weitem
noch nicht gedeckt. Unterstützer in Form von Sponsoren oder Fundraising, die
international agieren und die sich mit den kulturellen, politischen,
sozialen, ökonomischen Aspekten der Gesellschaft auseinander setzen, sind
willkommen. Das Projekt versteht sich als unverschämt breite offene
Plattform, wo alle Akteure auf einer gleichen Ebene kommunizieren. Deshalb
ist jede Art der Kooperation und vor allem der finanziellen Unterstützung
möglich und profitabel für den Finanzier. Es liegt in der Weitsicht jeder
Institution, wie sie sich selbst in Bezug auf planetarische Ereignisse
involviert oder isoliert sieht, wie sie die eigenen Mauern definiert und in
wie weit sich eine Institution als Subjekt versteht, das von den Weltereignissen
beeinflusst ist. Das World Game bietet diesen Institutionen nicht nur die
Möglichkeit, sich über die eigene Position im Weltgeschehen ein Bild zu
machen, sondern auch Interaktivität und Interkommunikation mit anderen
Subjekten.
© Enrique Guitart
Wien, Herbst 2009
Richard
Buckminster Fuller
Thomas
Saraceno
Attila Csörgo
Ingo Günther
Peter
Sloterdijk
Project Cybersyn
Timaios
Hofstetter Kurt
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© Nina Stuhldreher, Enrique Guitart, Ronald Strasser, Ernst Tradinik
Wien, Herbst 2009
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Art Basel 2009 – Beitrag in „Diagonal, Radio für Zeitgenossen“ –
ausgestrahlt am 20. Juli 2009
Vilfredo Pareto hat 1906 festgestellt, dass 20% der Bevölkerung 80% der
Reichtum besitzt. Anetta Mona Chişa und Lucia Tkáčová untersuchen diese
Aussage 100 Jahre später auf ironische Weise in Basel in der Galerie
Christine König. Und die Reflexion ist nicht zu Unrecht. Eigentlich lebe ich
als geborener Argentinier, zusammen mit 80 % der Weltbevölkerung, seit je in
der Finanzkrise. Ich bin einen erfahrener Krisenbewohner und wenn die anderen
auch einmal in der Krise sind, fühle ich mich nicht so alleine.
Für erfahrene Krisenbewohner gibt es nicht besseres als die Kunstmesse Art
Basel zu besuchen. Aus Kostengründen bin ich in einer hübschen sauberen
Pension – so hat mein Gönner gesagt- jenseits von Basel – meine ich -
einquartiert. Immerhin ist mein Balkon doppelt so klein wie mein Zimmer. Ich
teile mein halb so großes Badezimmer mit anderen 5 Bewohnern. Beim Frühstück
erfahre ich, dass das separate Haus, die Villa Rosa, das zu unserer Pensionsbetreiberin
gehört, heuer nicht mehr von einer berühmten berüchtigten Wiener Galerie
gemietet ist. Aus Kostengründen. Wir dürfen also den Swimmingpool benutzen.
Willkommen in der Krise!
Die Art Basel hat erreicht, alle verschiedenen Kunstbudgets, alle verschiedene
Presseabteilungen, Homepages, Rezeptiongalas, Rahmenprogramme und Sonstiges,
das irgendwie mit Kunst zu tun hat, einmal im Jahr, im Juni unter einen Hut
zu bringen und durch ihre Strahlkraft zu beatmen. Das Ergebnis ist zumindest
imposant. Neben der Art Galleries, der Galerienausstellung, gibt es die Art
Unlimited für Arbeiten, die die Grenzen eines Galerienstands überschreiten,
also riesige Installationen, es gibt die Art Statements, die als Biotop der
noch unentdeckten Künstler gilt; die Art Conversations, wo créme de la créme
der Kunstwelt uns jeden Tag erzählt, wie die Welt ausschaut, aber auch die
Art Lobby, die Art Books, Magazines, Records, die Art Insitutions, Film und
Public Art Projekts. Nicht vergessen die Volta 5 die Liste 09 und die Design
Miami/Basel. Was in Österreich die ViennAfair, die Art Austria, die Art Week,
die Kunst im Öffentlichen Raum, Soho in Ottakring ist – selbstverständlich
übers Jahr verstreut und nicht aufeinander abzustimmen, ist in der Schweiz
die Art Basel im Juni. Die Schweizer sind fähig alle verschiedenen Uhren zu
synchronisieren und auf eine einzige Uhr abzustimmen, die für alle
gleichzeitig tickt. Diese Uhr ist überall präsent und damit das Konzept auch
alle verstehen, ist sie in riesenhafter Größe auf dem Platz vor dem
Messegebäude aufgestellt. Heuer wird sie von einem ähnlichen imposanten und
großen Werk begleitet, einer Skulptur von Valentin Carron, „überwindbar“, wie
ihr Titel suggeriert, ein überproportioniertes schwarzes Kreuz, viel so groß
für den Raum, auf dem es steht, aber nicht viel zu groß dafür, wofür es
steht. „Willkommen im Kunst-Tempel“. Jetzt muss man leise sein, devot,
dankbar, demütig, untergeordnet, die Uhr und das Kreuz stehen über uns.
Sobald man drinnen ist, in den Hallen, durch die Stände spaziert, sich die
neuen und alten Positionen anschaut, vieles Altbekannte und Neue sieht,
vergißt man, dass dort draußen in der Welt, eine Finanzkrise herrschen soll.
Oder es ist etwa schon vorbei? Man trifft Direktoren von großen berühmten
Institutionen, erstklassige Kuratoren, die besten Galerien der Welt und man
ist schnell im Rausch. Die Kunst hat es überlebt! und sie wird uns
möglicherweise sogar retten. Die Kunst ist scheinbar immun gegenüber
denjenigen, die nicht einmal fähig waren, die Rechnungen richtig zu machen,
diejenigen, die nicht Aktienkursen, Dividenden, Cash Flows oder sonstiges
kalkulieren können, sind draußen geblieben. Hier herrscht eine hervorragende
Stimmung.
Ich liebe solche Krisen, obwohl ich nach zwei Wochen Basel schon wieder Lust
bekommen habe, mich selbst zu versorgen, selbst einkaufen zu gehen, frisches
Obst und Gemüse zu essen. Für Campagner und Leckerli ist jetzt erst einmal
ein Jahr Pause. Ich fliege zurück nach Österreich, ich steige ins Taxi wo das
Radio läuft. Bekannte Sender, bekannter Akzent, ich höre zu. Eine kompetente
sanfte Stimme erklärt uns die Vorteile, Seife selbst zu machen, warum und
unter welchen Umständen der Schaum sich entwickelt. Köstlich. Willkommen in
Österreich. Viva la Krise.
Enrique Guitart ist krisenresistent und lebt in Wien.
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Vorlesung – Seminar „Zeitgenössische lateinamerikanische Kunst“
Ziel
Relevante aktuelle lateinamerikanische Kunstpositionen hinsichtlich der
Entwicklung ihrer Inhalte und Formen im 20. Jahrhundert zu beleuchten bzw. zu
kontextualisieren.
Kunstwerke reflektieren soziale, politische, kulturelle und ökonomische
Komponenten aus dem Leben ihrer Urheber, das ist kein Geheimnis. Im Fall von
Lateinamerika sind das unter vielen anderen die lange katholische Tradition
genauso wie der reaktionäre Militarismus, die Schere zwischen Arm und Reich
genauso wie der fantastische Realismus.
Der Kontinent hat sich schon längst von den Traumata des Postkolonialismus
erholt. Nach einem politisch und gesellschaftlich stürmischen 20. Jahrhundert,
während dessen sich die Kunst von ihren alten europäischen Vorbildern
endgültig abgenabelt hat, präsentieren sich heute kraftvolle, eigenständige
Positionen, die ein anderes Licht auf die Kunst und ihren Daseinsgrund
werfen.
Methodik
Anhand von einzelnen Bewegungen des 20. Jahrhunderts, die Spezifika
lateinamerikanischer Gegenwartskunst, ihre Wurzeln und ihre Vernetzungen
aufzuzeigen.
Das Spektrum zeitgenössischer Künstler und Positionen, die heute auf dem
Kontinent relevant sind, ist breit. Es sollen hier nur als Beispiel einige
Namen genannt werden.
Ernesto Neto (Brasilien, 1964) ist einer der bedeutendsten Künstler
Lateinamerikas. Seine hängenden gefüllten Stoffskulpturen, durch die
man wandern kann wie durch einen Wald, erinnern an die offenen Environments
(Penetráveis) eines Helio Oiticica, aber vielleicht noch viel mehr an die
aufblasbaren Skulpturen von Marcello Nitsche in den 1960er Jahren. Neto
ergänzt oder vervollständigt sie aber, in dem er aus seinen hängenden
Skulpturen ein Erlebnis zum Riechen, Hören oder Schauen macht. Man kann Neto
eindeutig in der Tradition der Künstler sehen, die das Objekt nicht als Kunst
zelebrieren, sondern es für die Allgemeinheit zugänglich sehen wollen, um
eine Erweiterung der Wahrnehmung anzuregen.
Regina José Galindo (Guatemala, 1974) ist eine junge Performance-Künstlerin,
die eine starke Sprache benutzt, um Themen wie die Unterdrückung durch
Diktaturen, Religion, politische Macht und Frauendiskriminierung zu
diskutieren.
Vielleicht ist noch ihr Video in Erinnerung, auf dem ihre Prozession durch
Guatemala City zu sehen ist. Dabei trägt sie eine Schüssel voll menschlichem
Blut, in der sie immer wieder ihre eigenen Füße wäscht – ihre Art von Protest
gegen den Diktator vom Dienst. Ihre Videos wurden auf der 51. Biennale in
Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.
Maria Fernanda Cardozos (Colombia, 1963) Werke machen auf den ersten Blick
einen romantisch-poetischen Eindruck, bei näherer Betrachtung zeigen sie aber
die ungeheure Brutalität der Menschen. Natur und Mystik sind in ihren Werken
nicht zu übersehen. Damit greift Cardozo auf eine subtile aber prägnante Art
Themen wie Santería, Indianerkultur und Eroberung, aber auch Sammeln und
Klassifizieren auf.
Eugenio Dittborn (Chile, 1943) thematisiert Wahrnehmungen über Raum und Zeit.
Seine bekannten „Airmail Paintings“, Arbeiten, die zum Zusammenfalten und mit
der Post in aller Welt zu verschicken sind, erinnern an Cildo Mireles
Konzept, seine Werke auf Coca-Cola Flaschen und Geldscheinen zu platzieren
und sich damit des Vertriebsystems der großen Konzerne zu bedienen.
Inhaltlich aber folgen sie der Tradition des politischen Engagements (Nada
Nada, 1980), reflektieren aber auch die Rezeption von Kunst auf verschiedenen
geographischen Punkten in Zeit und Raum.
Auch Künstler wie Alfredo Jaar, Johanna Calle, Luis Camnitzer, Laura Anderson
Barbata, Oscar Muñoz, Tania Bruguera, Django Hernández, Cinthya Soto, Jorge
Macci, Maria Ezcurra und David Lamelas sollen in dieser Vorlesungsreihe
vorkommen.
Die genannten einzelnen Bewegungen des 20. Jahrhunderts, die im Gegensatz
oder als Quelle dieser Positionen zu beleuchten sind, werden im Dienste der
besseren Verständlichkeit nach Ländern untersucht.
Brasilien
Die Tropicália Bewegung der 1960er Jahre mit ihrer Bestrebung, die Slums ins
kulturelle Bewusstsein einzubinden, die reiche kulturelle Vielfalt des
„Kontinents“ Brasilien in den Vordergrund zu stellen, Populärkultur ernst zu
nehmen, ohne Popart zu sein. Um Künstler wie Helio Oiticica, Lygia Clark oder
Marcelo Nitsche kommt man nicht herum, wenn man heutige Kunstpositionen von
Mexiko bis Feuerland verstehen will.
Nicht unerwähnt bleiben kann in diesem Zusammenhang auch das Manifesto
Antropófago (1928) von Oswald de Andrade, der erste ernstzunehmende Versuch, die
Diversität der brasilianischen Kulturen in sich aufzunehmen und zu einer
eigenen Identität zu verschmelzen.
Wegweisend in vielerlei Hinsicht war die Einrichtung der Biennale von Sao
Paolo (1951), nach Venedig die zweitälteste Kunstbiennale der Welt. Die
Bedeutung des Nova Objetividade Manifests (1967) und die Rolle der Konkreten
Poesie für die Entwicklung der Kunst, soll ebenfalls thematisiert werden.
Argentinien
Die Entstehung des Instituto Di Tella mit seinem stärksten kulturellen
Einfluss in den 1960er Jahren war für die gesamte Region von besonderer
Bedeutung. Künstler wie Marta Minujin, Julio Le Parc oder Roberto Plate
revolutionierten mit Pop art, Environments und Happenings das Kunstgeschehen.
Auch die Künstlergruppe um Tucumán Arde (u.a. Maria Teresa Gramuglio, Leon
Ferrari) änderten total das Verständnis von Kunst und ihrer Funktion. Die
Kunst emanzipiert sich vom White Cube und geht auf die Strasse. Darüber
hinaus sprengt sie die formalen Grenzen der bildenden Kunst und involviert
Musik, Literatur, Theater aber auch Politik, Wirtschaft und natürlich die
vielfältigsten Aspekte der Gesellschaft in ihr Projekt. Diese Bewegungen
enden praktisch mit einer Revolution, aus der schlussendlich die brutalen
Diktaturen der 1970er Jahre resultieren, die das gesamte politische und
gesellschaftliche Leben auf dem Kontinent prägen sollen. Selbstverständlich
wird in den Vorträgen auch auf die kulturellen Wurzeln der erwähnten
Bewegungen in den 20er Jahren eingegangen, wie etwa die Avantgarde eines
Emilio Pettoruti (rund um das Martin Fierro Manifest, 1924) oder den
Surrealismus eines Xul Solar, sowie den starken literarischen Einfluss (Jorge
Luis Borges) in einem Großteil der bildenden Kunst.
Mexiko und Kuba
Vom Muralismo der 20er Jahre (Diego Rivera, Frida Kahlo) bis zur Neo
Figuración, über den Funcionalismo des Architekten Luis Barragán und die
Nueva Presencia (80er Jahre) hat eine sehr einfach zugängliche Kunst das 20.
Jahrhundert in Mexiko geprägt. Kunst findet statt unmittelbar auf den
Fassaden von öffentlichen Gebäuden und wird bis heute als
Selbstverständlichkeit im Stadtbild identifiziert.
In Kuba wird auch die bildende Kunst eng mit dem Alltagsleben verbunden.
Santería, religiöse Kunst und Mystizismus gehen Hand in Hand mit den
Versatzstücken prä-kolumbianischer Kulturen, inkorporieren aber auch aktuelle
kulturelle, politische und soziale Ereignisse. All das kann als Routenplaner
dienen, wenn man bei aktuellen lateinamerikanischen Kunstpositionen landen
will.
Schlusswort
Ziel ist nicht, alle Länder und zeitgenössischen Künstler hier enzyklopädisch
vorkommen zu lassen, das würde den Rahmen einer Vorlesung oder eines Seminars
in einem Semester sprengen. Behandelt wird eine Auswahl aktueller Positionen
und ihre historischen Bezüge, ohne die sich die Zeitgenossen nicht verstehen
lassen.
© Enrique Guitart
Wien, Sommer 2008
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Skin is longing for a cream –On sensitivity in art of women
quartier 21 - Mai 2008
Als Ergebnis des Artist in Residence Programmes vom quartier 21, zeigen vier
Künstlerinnen und eine Kuratorin die Arbeiten die sie die letzten 3 Monaten
gemacht haben. Enrique Guitart von Team Teichenberg hat über die
Künstlerinnen und Kuratorin, Ihre Motivationen und den Kontext, in dem sie
arbeiten, ein paar Notizen gemacht.
Klara Swantesson, Schweden 1980, Lebt in Denmark, cultur2culture
Sie macht Animationsfilme. Ihre Werke haben eine berührende Poesie und
starken Kontakt mit der Realität. Die Mischung von ätherischer Schönheit und
konkreter Realität macht ihre Arbeit außerordentlich. Sie kann Humor mit
Ernsthaftigkeit kombinieren. Für sie ist zeichnen wie ohne Gravitation zu
leben, und ohne Gravitation zu leben ist eben zwischen oben und unten zu
sein, nicht aber darauf und auch nicht in der Mitte. Sie überlässt den Platz
den Anderen: der Geschichte ihrer Mutter, Schlafenden, oder dem
dokumentarischen Charakter Ihrer Illustrationen.
Zeichnung markiert den Ursprung von Kunst. Zeichnung hat mit Spontaneität,
mit Präzision aber auch mit Vergänglichkeit zu tun: man nimmt einen
Zeichenblock und man zeichnet es durch, ein Blatt nach dem anderem, aber was
gezeichnet ist, ist nicht veränderbar wie bei Techniken mit Öl, Acryl oder
Photographie. In ihren Zeichentrickfilmen sieht man diese Hingabe zur
Zeichnung, zu Spontaneität. Es sind Zeichnungen die sich bewegen, haben aber
das Statische und das Bewegliche in sich. Bei ihr ist der Bleistift stärker
als die „Technologie“, die dahinter steckt und deshalb lohnt es sich das
anzuschauen, weil es keine Alltags-Kunst ist.
Audry Penven, USA 1983, monochrom
Sie macht Fotographie und Collage, und setzt sich bewusst mit dem Prozess der
Fotographie und den Materialen auseinander. Es interessiert sie aus alten
Bildern, neue zu machen. Und obwohl sie das Know-how von Fotos entwickeln,
Qualitäten von Papier, Chemie und Belichtungszeiten beherrscht, ist sie froh,
wenn der Zufall im Prozess integriert ist.
Sie hat ein klares nonkonformistisches und rebellisches Verhalten gegenüber
ihrem eigenen Werk. Sie provoziert bewusst eine Unordnung, eine Unreinheit,
die wiederum ihre Weltanschauung widerspiegelt. Ihre Werke sind das Produkt
eines Prozesses der damit beginnt, altes Material zu sammeln und in der
Dunkelkammer endet. Das Ergebnis ist vielschichtig, eine Collage von
Erfahrungen. Ihr Leben ist aber in Echtzeit, ohne Vergangenheit, ohne
Zukunft, immer ein Heute, ein existenzielles Heute. Dieses Doppelleben, das
pragmatische, materialbezogene auf einer Seite und das existenzielle (die
Frage wer bin ich, wo ist mein Zentrum) sieht man deutlich in ihren Werken.
Audry Penven arbeitet mit solcher Intensität, so starkem Bewusstsein und
einer solchen Klarheit über die Unmöglichkeit Ordnung zu schaffen, dass uns
ihre Werke perplex lassen.
Nancy Mauro-Flude, Australien 1975, subotron
Sie ist eine Net-Data-Performing Künstlerin, die sich mit der Beziehung
zwischen Technologie und Real Life auseinander setzt. Sie bedient sich u.a
bei populären Videogames und hinterfragt die bestehenden Modelle von Macht
und sozialen- und kulturellen Realitäten. Sie untersucht die Aspekte der
kapitalistischen Videogame-Industrie. Ihre Kriegsspiele, in denen der Spieler
seine eigene Identität verlässt (oder sich entblößt?) um sich in eine andere
Rolle zu versetzen, zeigt ihr kritisches Verhalten. Diese andere Rolle wird
wiederum als theatralisch empfunden und öffnet Nancy Mauro-Flude die Türe zu
ihrer performativen Arbeit. Hier ist sie Teil der Maschinerie, wo sie
einander gegenseitig (Maschine und sie) bestimmen. Das sind formale Aspekte
und die Zusammenhänge ihrer Arbeit. De facto, ist sie eine Underground
Künstlerin, die im Underground bleibt. Und so wie eine echte Underground
Spielerin ist sie subversiv, ätzend, surrealistisch und mystisch. Sie
untersucht mit ihren Arbeiten diese ewigen Aspekte der Technologie und des
Menschen und findet Parallelitäten. Man kann jede beliebige Arbeit von ihr
nehmen, man wird immer die Konfrontationen zwischen oben und unten sehen und
zwischen ich und dem Anderen spüren. Man wird aber nicht wissen, auf welcher
Seite man selbst ist.
Jessica Errey Adt, alias Jesse Darlin, UK, lebt in Amsterdam, monochrom
Performance Künstlerin, Photographin, Videomacherin. Sie hat eine epische Art
ihre Kunst darzustellen. Sie ist im wörtlichen Sinn das Gegenteil einer
Underground Künstlerin, sie bedient sich aber von unten, sie lebt oben, ganz
oben, und schnell, auf der Strasse. Sie macht aus Kunst etwas Lebendiges,
Spontanes, Direktes, Offenes, Selbstbewusstes. Sie ist eine Schriftstellerin
und Denkerin einer jungen urbanen vitalen Straßenkultur (im Gegensatz zu
Museumskultur). Sie arbeitet gegen die Sex Industrie und entmythologisiert
das Bild vom fragilen schutzlosen Mädchen. Sie lässt sich in keinem Medium,
in keiner Akademie festhalten. Sie ist mit beiden Füßen auf der Strasse, in
Seattle, in Amsterdam oder in London. Jetzt ist sie in Wien.
Ivana Moncolová, Slowakei 1980, Erste Bank
Kuratorin mit Schwerpunkt Feminismus und Gender. Sie hat sich mit sozialen,
politischen und kulturellen Themen in Ost- und Südosteuropa
auseinandergesetzt. Sie hat in der Slowakei und im Ausland an mehreren
Publikationen mitgearbeitet. Sie arbeitet lokal, denkt aber international.
Für diese Ausstellung hat sie sich mit aller Kraft, Enthusiasmus und
Engagement eingesetzt. Als sie vor drei Monaten nach Wien gekommen ist, war
sie mit vier verschiedenen Künstlerinnen konfrontiert und es ist ihr
Verdienst, diese Positionen zu bündeln und allem eine Einheit zu geben. Sie
ist schlussendlich verantwortlich für den Titel der Ausstellung, der Art der
Präsentation und die ausführlichen Texte, die über die Künstlerinnen und ihre
Projekte im Rahmen dieser Ausstellung entstanden sind.
© Enrique Guitart
Wien, Mai 2008
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Andreas Reiter Raabe, zwischen Bild und Abbild
Die Arbeiten von Andreas Reiter Raabe lassen sich wie Systeme von Bildern,
Fotos oder Installationen lesen. Diese Systeme, die aus zwei oder drei
Komponenten bestehen, sind die Konstante in der Vielfalt der Medien, die
Reiter Raabe benutzt.
Da sind etwa seine Arbeiten von Acryl auf Leinwand: auf einer Seite gibt es
Bilder von Sphären oder Streifen. Sie wachsen über das eigentliche Werk
hinaus und tropfen auf eine zweite Leinwand. Dabei entstehen die zweiten
Ebenen dieses Systems: getropfte Bilder. Inzwischen sind wir, als Betrachter,
ein dritter Teil des Ganzen, zwischen Ursache (gemalte Sphäre oder Streifen)
und Wirkung (getropftes Bild). Wir sind innerhalb des Werkes. Wir stehen
zwischen beiden Elementen und sind doch auch in jedem Element repräsentiert:
wir sind diese Sphären oder Streifen, manchmal verknäuelt und
zusammengedrückt, manchmal getrennt, manchmal in Gesellschaft, manchmal
Einzelgänger. Das Andere, das getropfte Bild, ist wie eine Reflexion von uns
selbst, wie ein Anderes von uns selbst, das wir auch sind. Der dabei
entstehende Raum ist etwas Subtiles, Fragiles, nicht taktil Greifbares, etwas
Immanentes, etwas Ontologisches aber etwas Konkretes, eben der Raum wo wir
sind.
Das Gleiche gilt für Andreas Reiter Raabes Fotoserien: ein Bild mit einem
Text wird produziert, in eine Landschaft gestellt, fotografiert und zusammen
mit anderen, gleich produzierten Arbeiten, wieder an einem anderen Ort
ausgestellt. Die Räume wiederholen sich wie Spiegel, die sich gegenseitig
reflektieren: das Bild, die Landschaft, die anderen Bilder und wir, wieder
woanders, als Betrachter; wieder Ursache, Wirkung und wir als Zeuge zwischen
allem.
Reiter Raabe verweist durch seine Bilder auf einen Raum, entwirft Membrane
einer Sphäre, die sich mit anderen in Verbindung setzt. Innerhalb und
zwischen diesen Sphären sind die Räume: Wände oder Begrenzungen von Räumen,
deren Deklinationen. Er benutzt seine Bilder als Instrumente, um etwas
Anderes zu zeigen. Sie sind Wegweiser für das Nicht-Objektivierte, für das
Nicht-Objekt sein, also für das Subjekt. Seine Bilder sind Objekte, die
Subjekte definieren. Die Bilder versuchen eine mögliche Welterklärung durch
ein System darzustellen, das andere nicht ausschließt. Seine Intention ist
aber nicht, die Welt zu erklären. Seine Werke tun es, ohne dass der Künstler
es bewusst wollte. Diese Arbeiten sind vielmehr irrationale, treffliche
Weltdarstellungen und Weltwiderspiegelungen.
Besonderes interessant zu entdecken und sich zu vergegenwärtigen ist die
Entwicklung und Entstehung des bildnerischen Prozesses. Von den dicht
bevölkerten Sphären und wilden Farbkombinationen einerseits, zu den ruhigen
oft monochromatischen Bildern, in ihren intensiven und gelassenen Farben
andererseits. Oder die Wandmalerei, wo der Träger (die Wand) sukzessive
verschwindet, wie auch das unbekannte Andere langsam verschwindet und doch
präsent bleibt. All das verweist auf die Zweiheit, auf diese präzisen
Formen und Subjekte, die sein Universum bevölkern.
Es ist gesagt worden, dass Reiter Raabe ein „Philosoph in Aktion“ wäre, was
sicher treffend ist. Der Philosoph versucht durch Wörter, Redewendungen,
Formulierungen, philosophische und psychologische Quellen die Welt in einer
bestimmten Zeit darzustellen. Andreas Reiter Raabe versucht durch seine
Bilder, Fotografien, Installationen und Dokumentationen, wiederzugeben, was
er spürt. Der Eine ist rational, der Andere irrational, beide beschreiben das
Gleiche. Der Eine beschreibt uns, der Andere malt uns.
© Enrique Guitart
Wien, November 2007
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Lia & Dan Perjovschi - Christine König Galerie 2007
Die rumänische Künstlerin Lia Perjovschi beschäftigt sich in ihren Arbeiten
mit der Sammlung, Archivierung, Strukturierung, Distribution und Vermittlung
von Wissen aus Gesellschaft, Politik und Kunst. Sie verzeichnet und
dokumentiert historische Begebenheiten, die einen Kontext für Ereignisse in der
Gegenwart abgeben. Dabei dient ihr eigener biographischer Hintergrund (Ihr
Leben unter der Diktatur von Ceauşescu) als Grundlage ihres spezifischen
künstlerischen Ausdrucks, der immer auch eine politische Aussage beinhaltet.
Lia Perjovschi hat sich auf diese besondere Arbeitsweise direkt nach der
rumänischen Revolution 1989 spezialisiert, um bis zu dieser Zeit nicht
verfügbare Inhalte und deren Zusammenhänge zu kommunizieren. Bereits 1987
hatte sie das „Contemporary Art Archive“ CAA gegründet: „CAA is a space for
contemporary art, an information centre, a place for alternative art
education, an interdisciplinary meeting point, an organic, flexible, ongoing
process, a context in motion, a museum in files“. Seit 1991 präsentieren sie
und ihr Partner Dan Perjovschi in ihrem gemeinsamen Atelier das „Open Studio“
ihre allen Interessierten frei zugängliche Archivsammlung von Materialien zur
internationalen zeitgenössischen Kunst und Kunsttheorie.
Dan Perjovschi ist zuallererst, ein ausgezeichneter Zeichner, ein markiger,
witziger Kommentator von sozialen und politischen Ereignissen und vom
zeitgenössischen Kunstsystem. Perjovschi’s Zeichnungen sind größtenteils
ephemer und temporär: sie werden entweder für eine Zeitung gemacht und damit
nur für den Tag, oder auf die Wänden von Ausstellungsräumen gemalt oder
gezeichnet und dann nach der Show ausgelöscht.
Der Schlüssel der Komplexität seiner Arbeit liegt im politischen Engagement,
das er durch seine Mitwirkung an zwei rumänische Zeitschriften zeigt, an
denen er nach dem Fall des kommunistischen Regimes beteiligt war:
„Contrapunct“ und die oppositionelle Zeitschrift "22" (er arbeitet
noch für diese als politischer Illustrator und Artdirektor).
Sowohl hier als auch im Rahmen von Systemen wie bei der „Contemporary Art
Archive“ zeichnet sich Dan Perjovschi als Aktivist, der seine Arbeit und
seine Kunst für seine politischen Überzeugungen einsetzt. Unabhängig davon
auf was sich Perjovschi fokussiert - auf Zeichnung, textliche Kommentare,
oder das Archivieren - behält seine Arbeit die Struktur und Charakter eines
Kunstwerks.
In der Zusammenarbeit von Lia und Dan Perjovschi findet man die Spannung und
Bedeutung beider Positionen am bestens: die archivarische, historische und
gleichzeitig statische aber auch dynamische Dokumentation als Suche und
Unterstreichung einer Identität – die Rumänische, die Osteuropäische – , die
durch des CAA entsteht; und gleichzeitig das Vergängliche, Temporäre,
Kurzfristige oder Flüchtige, banales oder alltägliches, das durch die
Leichtigkeit der Zeichnung und Ihre Themen die Bedeutungslosigkeit des
Individuum hervorhebt.
Bereits Anfang der 90er hat die Galerie Christine König Arbeiten von
Lia und Dan Perjovschi gezeigt. Jetzt nach mehr als 10 Jahren und nach
mehreren Biennalen, internationalen Preisen und Ausstellungen in
erstklassigen Institutionen wie das Tate Modern in London, das Centre
Pompidou in Paris oder das MoMa in New York, werden beide Künstler wieder
eine Arbeit für und in der Galerie machen: Lia wird ihre „Maps of
Impressions“, als Erweiterung und Vervollständigung ihr seit XX
initiiertes Projekt in der Galerie präsentieren; Dan wird mit malerischen und
zeichnerischen Mitteln den Galerieraum auf die Straße hinaus brechen, analog
zu seinem kartographisch geopolitischen Atlas.
© Enrique Guitart
Wien, Oktober 2007
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Gustavo Mendez-Liska
Der Rhythmus des Fächers [ein spiel in progress]
Gustavo Mendez-Liska befasst sich seit seiner Jugend mit Musik und
Musiktheorie auf der Suche nach Notationen, die die Pausen andeuten. In
diesem Sinne, war für ihn der Rhythmus ein Element, das eine Abfolge von
Ganzen-, Halben-, Viertel- und Achtelpausen ermöglicht hat, vielmehr als die
Noten, die dazwischen gespielt worden sind. Diese Aufmerksamkeit auf die
Pausen und die Form wie man sie ausdrückt, bzw. die Stille und Kraft dieses
Nicht-Klanges und Nicht-Sounds, hat er so weit getrieben, dass er
schlussendlich anfing, andere Mittel in Betracht zu ziehen, um diese
sinnliche Vision auszudrücken. So hat er begonnen, in der bildenden Kunst zu
experimentieren, wo er schließlich seine Heimat gefunden hat und mit der er
auch bekannt geworden ist.
Nach einer ersten kurzen Phase figurativer Malerei hat er verstanden, dass
nicht das Objekt sondern viel mehr der Raum zwischen den Objekten in aller
Schärfe zu thematisieren ist. Dementsprechend werden seine Arbeiten (Bilder,
Installationen, Videos) abstrakt. Formal ist es sein Bestreben Farben,
Materialen, Licht und Schatten im Bild zu organisieren, bis das Nichtgemalte
zum Ausdruck kommt. Früher hat er mit Diptychen und Triptychen
experimentiert, bei denen dieser hervorgerufene Raum zwischen den Bildern
Bestandteil derselben war. Die Werke lassen sich von links nach rechts lesen,
wie eine Partitur, auf der die Noten und vor allem die Pausen angedeutet
sind. Die Tiefe oder das Volumen seiner Arbeiten verweisen auf ihre eigene
Resonanz. Der Höhepunkt dieser Arbeit findet dann ja in der Ausstellung
seiner Bildern statt: die Sorgfältigkeit der Hängung hat nur den Sinn, die
leeren Räume zwischen den Bildern zu betonen und eine Kommunikation zwischen
Objekten und nun auch Besuchern zu ermöglichen. Hier verschwinden die
einzelnen Werke, um eine gesamte Idee darzustellen. Der ideale Raum wird
schon in der Entstehung seiner Arbeiten durch die Auswahl verschiedener
Techniken wahrgenommen. Folgerichtig sind seine Arbeiten nicht für den
Sammler und seine Kunstdepots gedacht. Es sind vielmehr Werke, die durch
Hängung und Installieren in der Resonanz von Raum, Objekt und Besucher zu
verstehen sind. So distanziert er sich ungewollt von dem Kunstrausch und der
Mode, was wiederum Authentizität und Unabhängigkeit bringt. Er kann nur
a-temporär aber dafür rhythmisch arbeiten.
Mit dem „Rhythmus des Fächers“ will er jetzt die gesamte Erfahrung: Musik,
Pausen, Nicht-Sound, Beschreibung von Pausen und Stille ein absolut neues
System in den bildenden Kunst und Musik erforschen. Dieses System ist schon
im Mesmerismus und in der philosophischen Sphärologie beschrieben worden. Er
spricht über ein System von Wechselwirkungen, also über die gegenseitige
Beeinflussung verschiedener Objekte in einem Raum und über die Beschreibung
eines Raumes durch die Elemente, die er beherbergt, ohne den Raum selbst zu
nennen. Die Analogie dafür hat er in dem Raum, den ein Fächer beschreibt. Der
Fächer formuliert und bereist einen Raum der zwischen zwei imaginären Punkten
oder Tönen eine bestimmte Masse in Bewegung setzt. Die Wiederholung dieses
Aktes ergibt für den Akteur einen Moment der Erleichterung. Er erklärt, dass
die Töne per se nicht relevant sind, sondern die Interaktion zwischen diesen
Tönen bedeutsam ist. In dieser Beschreibung erklärt sich seine Negation von
Sammlern, Galeristen oder Künstlern, die allein agieren, gegenüber der
Interaktion der verschiedenen Subjekte. Das Individuum wird entmythologisiert
und einer Gruppe untergeordnet, die Mystik wird dem Mysterium zurückgegeben.
Dieses Unbekannte gilt es durch das Mitspielen von verschiedenen Akteuren zu
induzieren: Künstler, Musiker, Graphiker und Schreibende. Alle versuchen in
ihrer Fachkompetenz und durch ihre eigene Erfahrung das Unbekannte, die
Pausen zwischen zwei Noten, den Raum zwischen der Bewegung eines Fächers zu
beschreiben und die dadurch entstehende Sphäre zu evozieren. Jede Position
für sich ist unbedeutend, in der Form abstrakt und im Inhalt bipolar,
zweiseitig und mit einer internen Resonanz. Das Zusammenspiel jeder einzelnen
Form aber beschreibt ein Universum, das die Bedeutung der einzelnen
Positionen widerspiegelt.
Dieses Projekt wird durch staatliche und private Institutionen mitfinanziert.
© Enrique Guitart
Wien, Februar 2007
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Buenos Aires Loop – KunsthalleWien
4. Mai – 6. Juni 2006
Literatur und Poesie haben eine lange Tradition auf dem südamerikanischen
Kontinent. Kaum ein Künstler, egal welcher Sparte, hat sich nicht auf die
wichtigen lateinamerikanischen Literaten bezogen. Bei der Musik sind Texte
oft viel tiefgreifender und innovativer als die Musik selbst. In der
Bildenden Kunst findet man auch sehr oft Texte in den Werke. Im Film waren
immer Poesie und Andeutung erprobte Mittel. Ich glaube mich nicht zu irren,
wenn ich sage, dass in den letzten Jahren ein Wandel dieser Neigung
stattgefunden hat. Die literarische Referenz bleibt noch immer, formal findet
man gerade in der Bildenden Kunst neue Wege.
In der spezifischen Auswahl der Werke, die hier zu sehen sind, handelt es
sich um junge Künstler aus Südamerika, die neue Formen der Darstellung ihrer
eigenen Beobachtungen anstreben. Ihre Themen sind unter anderem die
Wahrnehmung und das Festhalten eines hoffnungsvollen Augenblickes, der für
eine Jugend ohne erfreulichen Perspektiven von Bedeutung ist („Try to
Remember“), oder das Gegenteil, die Feststellung der Unmöglichkeit einer
Ordnung („Styrofoam “). Es geht um die Infragestellung der Mittel der Religionen
- nicht als Negation der Spiritualität sondern als Untersuchung ihrer
Inszenierung („ON/OFF“), oder um das Bild der Männer in der
Gesellschaft, wenn eine Frau Männer als ästhetische Objekt bewertet und
rechtfertigt („Why are you so cute?“). Gezeigt wird auch Langeweile,
Sinnlosigkeit oder das stereotype Verhalten der bürgerliches Gesellschaft
(„Revistas“), oder, schlussendlich, der Blick auf das Allgemeine, auf das
Nicht-Bekannte, Nicht-Wahrgenommene, kurz auf die namenlose Masse durch ein
minimales Werk wie „The Song of the End“, das diesen Loop abschließt.
Diese Arbeiten sind Stimmungen und Erzählungen dieser Stimmungen. Das
Erzählerische ist immer da und es präsentiert sich manchmal in bekannten
Formaten, wie Soap Opera (keine Sit-Com), Interview, oder surrealistische
Erzählung á la fantastische Literatur. Aus der Perspektive des Betrachters in
Wien, möchte ich die Frage aufwerfen, ob die Bilder, die man hier sieht, nur
auf eine lokale Realität fokussieren, oder ob sie nicht viel mehr eine universale
Gültigkeit haben, Beobachtungen sind, die gleichzeitig in Buenos Aires, in
Dakar oder in Wien stattfinden können. Die Sprache ist eine andere aber die
Intention ist die gleiche: im Allersubjektivsten Allgemeingültiges zu
formulieren. Ich glaube, dass diese Intentionen in „Buenos Aires Loop“ zu
erkennen sind.
Jorge Macchi
Jorge Macchi lenkt seine
Aufmerksamkeit auf das, was fehlt oder auf das, was zu viel ist, um das Auge
darauf zu fokussieren, was es gibt, was aber auf den ersten Blick nicht
wahrgenommen wird. Er lenkt seinen Blick auf das Unbemerkbare, auf die
Fußnote, auf den Rest, auf die Brüche. Existierende Texte spielen oft eine
zentrale Rolle in seinem Werk. Dieser Text wird aus dem Kontext herausgenommen
um eine neue Lektüre zu ermöglichen: in „The song of the end“ ist es der
Abspann, ohne wirklichen Film, in „Citas“ („Zitaten“) gibt es nur
Anführungszeichnen ohne Text, in den Satie-Partituren werden die Noten durch
Nägel ersetzt. Seine Werke sind Einladungen zur Reflexion in aller Stille.
Jorge Macchi lenkt das Interesse der Beobachter auf die Abwesenheit, die
Beobachtung dessen, was man nicht sieht, oder nicht sehen will. Diese
explizite Suche wiederholt sich auch auf seinen Plänen und Landkarten oder in
seinen Installationen.
Jorge Macchi war der argentinische Beitrag zur letzten Biennale in Venedig,
seine Werke sind in bedeutenden Sammlungen in aller Welt vertreten, wie Daros
in Zürich oder MALBA in Buenos Aires. Jorge Macchi arbeitet mit Objekten aus
dem täglichen Leben, hauptsächlich mit Texten aus Zeitungen in Bildern,
Videos und Installationen. Er sucht nach den Spuren, die Dinge hinterlassen,
beobachtet sie und folgt ihnen.
Die Arbeiten von Jorge Macchi kann man wie einen kritischen und aufmerksamen
Blick auf das alltägliche Werden sehen. Sie sind im Alltäglichen verwurzelt
und versuchen Stille und Pause im Lärm der Stadt zu kreieren. Er versucht,
Momente, die für Ihn bedeutend sind, festzuhalten. Er arbeitet wie ein
Fotograf ohne Fotoapparat, aber mit der gleichen Intention, relevante Aspekte
wiederzubeleben. So entstehen Textfetzen, die aus dem Zusammenhang gerissen
werden. Sein Interesse ist auf die Massenmedien gerichtet, aus denen er die
Information filtriert, um die Aufmerksamkeit auf beinahe unbemerkbare
Ereignisse zu lenken. Die Ereignisse, die Teil der einzelnen Nachricht sind
und die am nächsten Tag aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden, werden
zum Grundmaterial seiner Arbeiten. Diese Themen oder Nachrichten sind dann nur
für das Subjekt der Nachricht relevant und in zweiter Instanz für Jorge
Macchi und jetzt für den Besucher, der durch seine Werke dessen Umfeld
überlegt und von neuem betrachtet. Sein Diskurs ist aber nicht nur
linguistischer Art, sondern er verweist durch seine Installationen und
Grafiken auch auf eine neue Lektüre von Gewalt und Willkürlichkeit in der
Gesellschaft.
Jorge Macchi ist 1963 in Buenos Aires geboren und lebt und arbeit in Buenos
Aires
La canción del final (The Song of The End), 2001
Piece made in collaboration with the musician Alejandro González Novoa
Video: 5:30 minutes. Edition: 4
Malba-Colección Costantini, Buenos Aires, Argentina
Ruy Krygier, Buenos Aires, 1972 – Lebt und Arbeit in Buenos Aires
Mit seinen Interventionen in Theater und Kino ist Ruy Krygier einer der
jungen argentinischen Künstler, der sich in den letzten Jahren am meisten
etabliert hat. Die urbane Sprache und die Kraft seiner Videoarbeiten
reflektieren das soziale, politische und ökonomische Umfeld, in dem er lebt. Innerhalb
der langen Tradition des Mediums Film auf dem Kontinent, zieht Ruy Kriegier
den formalen Abstand zum schon Gemachten vor, um eine neue Art und Sprache zu
suchen. Trotzdem verweisen seine Themen immer noch auf seine Kultur und
Tradition und sind Metapher seiner Wirklichkeit, die durch die Absurdität
eine zentrale Rolle spielen. Diese beide Aspekte, der formale und der
referentielle, unterscheiden ihn von den anderen und machen ihn zu einem
typischen Vertreter der neuen Videokunstströmungen in Buenos Aires.
Daniel Gimelberg, Buenos Aires, 1965 – Lebt und arbeit in Buenos Aires und
Barcelona
Mit starken Wurzeln im Video Clip und der VideoArt, verfolgt Daniel Gimelberg
für Lateinamerika unkonventionelle Wege. Mit seinem trockenen und scharfen
Humor, hat sein erster Spielfilm, Hotel Room, beachtliche Kritiken und
enormes Echo in Buenos Aires und Barcelona gefunden. Er arbeitet mit den
Methoden von Suspense und Krimi; sein Hauptaugenmerk liegt aber auf dem
Zufall, durch den kleine Details ein Leben verändern können. Da der Film in
schwarz/weiss gedreht wurde, assoziiert der Zuschauer die Bilder sofort mit
alten Hitchcock Filmen. Durch die Art des Humors und seine zeitgenössische
Relevanz macht sich der Regisseur den Zuschauer aber zum Komplizen in der Gegenwart.
Die Produktionsbedingungen und die wirtschaftliche Situation auf dem
Kontinent sind wiederum in seinen Werken nicht zu übersehen: „Hotel Room“ ist
in Daniel Gimelbergs eigener Wohnung gedreht; „1150 Kg“ hat als Setting nur
einen Aufzug.
Eduardo Daniel Navarro, Buenos Aires, 1979 – Lebt und arbeit in Buenos
Aires
„Skulptur ist, wie wenn die Schauspieler einen Zweifel, eine Fantasie
spielen; sich im Juni als Santa Claus verkleiden“ meint Eduardo Navarro. Und
das lässt sich in seinen Werken auch sehen. Sie sind Komplizen des
Betrachters, die ihn zum Grinsen einladen. Seine aufblasbaren Objekte, seine
dick gepolsterten Menschen oder seine Installationen mit nutzlosen
elektrischen Geräten gehören zu einer Welt der Übertragung. Dieser junge
Künstler übernimmt eine erzählerische Tradition, die in Buenos Aires nicht zu
übersehen ist. Seine Annährung an soziale Themen sind in der fantastischen
Literatur eines Julio Cortázar zu finden. Es gibt da eine Leichtigkeit, die
seinen dicken Figuren widerspricht. Bekannte Themen bekommen eine neue Optik.
In „on/off“ unternimmt ein junger Mann eine lange Reise, um das spirituelle
Licht zu empfinden und zu sehen. In einem Land, in dem die Religion eine so
starke Rolle spielt, hat diese Inszenierung keine geringe Bedeutung. Trotzdem
findet man aber auch Parallelitäten zu europäischer Religiosität und
Spiritualität, die zeigen, dass seine Werke weit über lokale Realitäten
hinausgehen.
Paula Delgado , Montevideo, 1977 – Lebt und arbeit in Buenos Aires und
Montevideo
Daniela Delgados Videos, Fotos und Installationen entstehen aus einem starken
sozialwissenschaftlichen Interesse. Sie ist Mitbegründerin des Vereins
Movimiento Sexy (Sexy Bewegung), in dem sie die öffentliche Wahrnehmung des
Individuums und seines Umfelds durch künstlerische Interventionen in der
Öffentlichkeit hinterfragt. Arbeiten wie „Teléfono Compulsión“ eine Art
„reality phone“ oder „El Album“ zeigen immer wieder ihr Interesse an sozialen
Themen. Letzteres ist ein Fotoalbum einer Hochzeit, die nie stattgefunden
hat, eigentlich ein Placebo, das den gesellschaftlichen Drang nach einem
Hochzeitsfest exorzieren soll. Mit ¿Cómo sos tan lindo? Why are you so cute?
bearbeitet sie ein Work in Progress, das in mehreren Ländern und Kulturen
stattfinden soll. Sie versucht damit, die ästhetische äußerliche
Selbstwahrnehmung der Männer unter die Lupe einer Frau zu nehmen. Sie will,
dass das männliche Geschlecht sich Gedanken über die eigene Schönheit macht,
bzw. versucht sie als Frau den Männer auch körperliche Schönheit
zuzusprechen.
Dani Umpi (Daniel Umpiérrez) , Tacuarembó, 1974 – Lebt und arbeit in
Buenos Aires und Montevideo
Dani Umpi hat sich in Argentinien, Brasilien und Uruguay einen Namen gemacht.
Seit seiner Ausstellung „Dani Umpi Records“, 2001, in der er eine nicht
existierende Plattenfirma mit einem nicht existierenden Musik-Star
präsentierte, gilt der Performance Künstler und geniale Selbstdarsteller als
Liebling der Nation. Seine Methode ist die Wiederbelebung von traditioneller
Musik und Pop durch eine verrückte Solo-Inszenierung. Er benutzt bewusst ihre
Bühne um seine Performances zu machen. Schlechte englische Übersetzungen von
bekannten Texten, eine schlechte Stimme und seine selbstbewusste Provokation
haben ihn in die Top Charts der bildenden Kunst und der Musik Szene gebracht.
Er benutzt alle möglichen Medien, um in die breite Öffentlichkeit zu kommen,
wobei er die typisch lateinamerikanische Ästhetik kompromisslos eigenwillig
umsetzt. „Try to Remember“ zeigt einen Moment während eines Geburtstagsfestes,
der sich zu immer neuen Varianten desselben Liedes immer wieder wiederholt.
Das ist wieder ein Versuch, sich in den Mittelpunkt zu stellen und einen
starken Augenblick für ewig festzuhalten.
Gustavo Mendez-Liska
Die Struktur, die Form und die Oberfläche spielen eine bedeutende Rolle bei
allen Arbeiten von Gustavo Mendez-Liska. In Textur und Farbe findet man eine
starke Analogie zur Erde, zu Urgestein, zur Natur und gleichzeitig zum alten
verblichenen Papier, das von den alten europäischen Zeichnungen bekannt ist:
eine braune Oberfläche, die das Werk umfärbt. Seine Technik besteht aus dem
Aufbringen mehrerer Schichten, die am Ende eine kompakte Struktur ergeben. Es
gelingt ihm damit, die Komplexität seiner Realitäten durch eine spezifische
Leichtigkeit zum Ausdruck zu bringen. Die optische Rauhheit der Oberflächen,
die Ockerfarben erinnern an präkolumbianische, historische Kunst. Die
zeitgenössischen Materialen und Techniken verweisen aber unwiderruflich auf
das Heute. Der neue, lateinamerikanisch-europäische Mischling ist gelungen.
Gustavo Mendez-Liska verkörpert zwei Kulturen, oder mehrere, und lädt den
Betrachter ein, sich damit auseinander zu setzen. Manchmal wird ihm erlaubt,
in die Tiefe des Werkes zu gehen, manchmal findet er sich darin reflektiert,
immer ist er präsent. Paradoxerweise spiegelt sich der Betrachter in der
starken Subjektivität des Künstlers. Ob er auf der einen Seite oder auf der
anderen steht, ist dann als Option nicht mehr relevant. Es sind nur zwei
Räume oder Möglichkeiten, in denen sich der Betrachter inkludiert oder fremd
fühlt. Nie aber wird er nicht wahrgenommen.
„Doppeldecker“ fokussiert auf einen bedeutenden Teil Wiens, der Gürtel Linie,
die als Rand zweier Realitäten fungiert. Dieser Wiener Gürtel ist der
Wendepunkt zweier unterschiedlicher Welten, die wiederum zu einer eigenen
Welt werden. Dieser geographische Punkt existiert in jeder großen Metropole
und in jeder Metropole ist er der Wendepunkt, der Streitpunkt, der
Bewertungspunkt, der Entscheidungspunkt, die Definition: weiß oder schwarz,
gut oder schlecht, oben oder unten. Gustavo Mendez-Liska thematisiert diese
zwei Ebenen und denkt darüber simultan, gleichzeitig, fast laut, fast
schreiend, reflektierend, konstant, bewertungslos, faszinierend, rot....
Gustavo Mendez-Liska ist 1968 in Puerto la Cruz, Venezuela geboren – Lebt und
arbeitet in Wien und Venezuela
Gustavo Mendez-Liska
Doppeldecker, 2006
80 Dias, Farbe
Courtesy Gustavo Mendez-Liska
© Enrique Guitart
Wien, Frühling 2006
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[A wie Register]
Über Wien gibt es zahlreiche Publikationen, jede für sich konzentriert sich
auf einen Aspekt des vielfältigen Lebens in der Metropole: Tourismus-Routen,
Architektur-Guides, Musik Meilen, etc. Keine aber hat den Anspruch, ein
enzyklopädisches Bild zu schaffen.
[A wie Register] ist ein Forschungsprojekt über die Stadt Wien, mit dem Ziel,
ihre Einwohner und Charakteristika ans Licht zu bringen. Wir halten es im
Hinblick auf Wien für relevant, ein Kompendium der Merkmale aus einer
sozialen Perspektive zusammenzustellen, ein Werk, das die Stadt
widerspiegelt. Es soll ein Beitrag nicht nur für das Verständnis ihrer
Einwohner sein, sondern auch ein Referenzwerk für die Leute, die von außen
einen Einblick in die Stadt gewinnen wollen. Diese Arbeit will einerseits
ihre Einwohner mobilisieren, die Stadt zu definieren und zu zeigen und
andererseits erforschen, wie sich die Bewohner sehen und definieren. Die
Informationen kommen von einer Vielzahl verschiedener Quellen. [A wie
Register] hat vor, die Information im Einzelnen nicht zu objektivieren,
sondern durch die Bündelung einer maximalen Menge subjektiver Sichtweisen
eine größtmögliche Objektivität zu erzielen. [A wie Register] ist ein
Projekt, in das alle involviert sind, ein Projekt, das alle Bezirke Wiens
reflektiert und von allen mitgestaltet wird. Es ist kollektiv. [A wie
Register] will die kulturelle Vielfältigkeit Wiens thematisieren und
dokumentieren.
Projekt
In Form eines Foto Grafischen Wörterbuches soll ein alphabetisches Register
zusammengestellt werden, die Geschichte, Alltagskultur, Begriffe und
Besonderheiten Wiens repräsentieren und in der Wahrnehmung der eigenen Kultur
präsent sind. Dieses Register besteht hauptsächlich aus Fotos, die wie
Einträge in einen Wörterbuch gegliedert sind. Der Umfang des Projektes hängt
von der Teilnahmebereitschaft der teilnehmenden Personen ab, die es gilt zu
mobilisieren. Unser Ziel ist es etwa 4000 Beiträge zu erhalten. Besonders
spezifische und wissensrelevante Begriffe werden durch einen journalistischen
Beitrag ergänzt. Im Anhang werden in einem Glossar Begriffe und Fotos
erklärt, eine ausgewählte Bibliografie zum Thema Wien und die Credits
erfasst. Das Werk wird wie eine Stadt oder wie ein Wörterbuch umfassend und
zeitlos. Es ist auch ein Sprachrohr für ihre Bewohner.
Methodologie
Bereits existierende Arbeitsgruppen oder Gemeinschaften wie Arbeits- und
Interessensgemeinschaften, Bildungswerkstätten und Bürgerinitiativen werden
durch Inserate in Zeitungen sowie E-Mails und andere PR-Strategien
kontaktiert und um ihre Beiträge zum Projekt gebeten. Die Aufforderung ist,
Fotomaterial beispielsweise von Persönlichkeiten, Plätzen, abstrakten
Konzepten, Begriffen, Gegenständen, Aktivitäten, Berufen oder traditionellen
Festen, die für die Einwohner bedeutend sind, zu schicken. Dieses Networking
ermöglicht, dass ein minimaler Aufwand von jedem Teilnehmer einen
wesentlichen Beitrag zu dem gesamten Register liefert. Die Kerngruppe dieses
Projekts wird die Informationen sammeln, organisieren und auf einem digitalen
Datenträger einem möglichst breiten Interessentenkreis zur Verfügung stellen.
Weiters ist in einer späteren Phase beabsichtigt, das gesammelte Material
privaten oder staatlichen Institutionen zu zeigen, um eine Publikation in
Form eines Buches zu ermöglichen. Das heißt, dass das Ergebnis der ersten
Phase aussagekräftig genug sein soll, um private Förderer respektive Verlage
für eine Publikation zu gewinnen.
Zeitaufwand
Für diese erste Phase muss man mit mindestens 12 Monate rechnen:
Präsentation vorbereiten
Organisationen kontaktieren und besuchen
EDV vorbereiten, um die Menge von Daten zu bewältigen
Glossar verfassen
Journalistische Beiträge verfassen
Information verwalten und verfassen
CD publizieren
Personal
2 Leute für Kontakte und Verwaltung (die beiden Antragsteller)
1 EDV Techniker für die technische Bewältigung des Projekts
1 Graphiker
6 Journalisten resp. Wissenschafter für je einen Textbeitrag und
Glossar
Budget
(siehe Anhang)
© Geraint Williams, Enrique Guitart
Wien, Juni 2006
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Radio Tlön - Freies Radio Wien
Wir sind gerade dabei, ein Radioprogramm zu entwickeln - ein Forum für
Neugierige, für Information und Austausch. Für ÖsterreicherInnen und für hier
in Österreich lebende AusländerInnen.
Radio Tlön soll ein Radioprogramm sein, das von Menschen erzählt, und
Menschen gemacht wird - unabhängig von der Schattierung der Haut oder
Perfektion der Deutschkenntnisse.
Ziel
Über den Menschen zu sprechen, den möglichen, nicht den utopischen.
Versuchen, indem wir über das Alltägliche sprechen, die Grenzen der Länder,
der Sprache, zu überwinden, um zu sehen, was bleibt. Was uns vereint. Die
Verschiedenheiten zu akzeptieren, kann auch ein Beitrag zu einem besseren
Verständnis, zu einer Verbindung, sein.
Konzept
Aufgrund von uns erstellten Themen ein offenes Programm zu machen, sowohl
durch eingeladene Leute als auch durch Reportagen oder Anrufmöglichkeiten ins
Studio, die mit verschiedenen Farben dazu beitragen, das zu gestalten, was
das mögliche Endbild des Programmes sein soll.
Mittel
Berichte und Beobachtungen, Reportagen, Menschenportraits, Interviews,
Literaturbeiträge - Bücher, Artikel, Selbstproduziertes - eingeladene Leute,
etc.
Sprache
Deutsch soll die "Verkehrssprache" sein, was aber nicht bedeutet,
daß nicht auch Beiträge in den jeweiligen Muttersprachen gemacht werden
können.
Warum Radio Tlön?
Daß in Österreich ein ernstzunehmendes Potential an Fremdenfeindlichkeit
besteht, ist eine Tatsache. Die Ursachen dafür sind oft diskutiert worden
(werden es auch weiterhin), die Auswirkungen bekommen viele tagtäglich zu
spüren.
Natürlich ist ein Weg das politische Agieren gegen rechte Strömungen, was
aber oft nur zur Verhärtung der "Fronten" führt, zur
Radikalisierung, und nur selten zu größerem Verständnis oder der Verminderung
einer, wenn auch künstlich geförderten und dadurch übersteigerten, Angst.
Das scheinbar so "Fremde", das "Andere" bleibt genauso
undurchsichtig, furcht- und schließlich aggressionserzeugend.
"Die Ausländer" werden zu einer anonymen Masse, die die eine Seite
angreift, die andere zu schützen versucht. Menschen, die (oder deren Eltern)
in anderen Ländern geboren wurden, sind gezwungen, über ihre Identität und
ihr Wesen eine Haut zu ziehen, die mit dem Etikett "Ausländer" oder
"Ausländerin" versehen ist.
Deshalb ein Radioprogramm, für deutsch- und anderssprachige in Österreich
lebende Menschen, als verbindendes Projekt.
© Edith Blaschitz, Erna Etzer, Enrique Guitart
Wien, April 1993
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