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Fast nichts, und doch nicht nichts


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Richard Buckminster Fuller - Das World Game

„Think global, act local“, “Don’t fight forces, use them“ „Doing the most with the least“. Diese Statements gehören heutzutage zum allgemeinen Kulturverständnis unseres Planeten. Access to Tools, Vernetzung, Digital Community sind in einer planetarischen Gesellschaft nicht mehr weg zu denken. Seit wir Konzepte wie Umwelt, weltklimatische Prognosen, atmosphärische Zustände, Welterbe, Eroberung des Himmels wahrgenommen und in unser Vokabular aufgenommen haben, akzeptieren wir die ganze Erde als unsere Heimat und führen diese Vorstellung selbstverständlich in unserem Diskurs.
Richard Buckminster Fuller ist nicht nur der Autor der oben genannten Gedanken, der diese Begriffe prägend benutzt hat und somit einflussreicher Vordenker der Gesellschaft der 21. Jahrhunderts war, er ist auch ein in unserer provinzialistischen, mit Mauern ausgrenzende Gesellschaft noch immer fast ein Unbekannter, nur Spezialisten ein Begriff. Wegen seines Unit House, seiner Shelters und Geodesic Domes kennen ihn Architekten; wegen seiner Sphären, Polaritäten, schaumartigen Konstruktionen, der Bezüge zum platonischen Timaios, den Jitterbug Wandlungen ist er bedeutend für die Philosophen; wegen seines Zeitverständnisses, seiner Chronofiles, des 4D Time Lock, seines Beitrages zum „Indeterminismus“ von Heisenberg von Quantenphysikern beachtet und geachtet, wegen seiner Chains to the Moon aufregend für die alternativen Gruppierungen der 1960er Jahre. Mit allen war er bei Du, aber bei uns, mitten in der Gesellschaft, ist er nicht wirklich angekommen.

Es gibt eine Reihe von bildenden Künstlern, die sich bewusst oder unbewusst mit dem planetarischen Universum, das Buckminster Fuller beschrieben hat, auseinander gesetzt haben. Es gibt, unseres Wissen nach, nur eine Ausstellung („Your Private Sky“, Museum für Gestaltung Zürich 1999, Wanderausstellung) die ein gesamtes Bild über Fuller gezeigt hat. Die technischen Möglichkeiten, die sich im 21. Jahrhundert eröffnet haben, bieten aber erst jetzt ein reales Szenario um das Weltgut von Fuller mit den heutigen unzähligen Initiativen und Geschehnissen zu verbinden, zu visualisieren und darüber hinaus unsere Situation im atmosphärischen Zeitalter klarer darzustellen. Eine Möglichkeit, die es früher nicht gab.

Ein Aspekt, sich in einer ersten Phase, einem ersten Schritt diesem umfangreichen Unterfangen zu widmen, ist das World Game.

Das World Game ist ein umfassendes Projekt von Buckminster Fuller, das verschiedene Aspekte seiner Arbeit, seiner Visionen einschließt: damit sind auch die unterschiedlichen Sphären, die er mit seinen Projekten, Initiativen, Vorträgen und Präsentationen angeregt hat, gemeint.

Im World Game sind vier zentrale Aspekte seiner Kosmovision involviert:

-    Die zweidimensionale unverfälschte Darstellung eines vierdimensionalen Planet;
-    Die globale Vernetzung als Gegenpol zum spezialisierten Insel-Wissen;
-    Die gegenständliche graphische bildnerische Wahrnehmung, die ein komprehensives (= inneres, immanentes) Verständnis des Planeten Erde darstellt bzw. ermöglicht;
-    Die Real Time Information.

Das World Game ist Thema unserer Ausstellung.

Spätestens seit Martin Waldseemüller (ca. 1470 – ca. 1520) versuchen die Menschen von der sphärischen Darstellung des Planeten zu einer flachen unverfälschten Version zu gelangen. Fuller hat 1943 durch die Dymaxion Map das Ziel erreicht. Damit haben wir jetzt zum ersten Mal in der Geschichte unseres Planeten die Möglichkeit, die Welt in ihrer Gesamtheit wahrhaftig zu sehen. Die globale Vernetzung, in der es kein oben und kein unten gibt, wo es kein Zentrum gibt, sondern alles Peripherie ist und sich dadurch kein menschliches Wesen als Oberhaupt des Planet behaupten kann oder als Subjekt über das alle Wege führen und das letzte Instanz ist - all das hat Fuller mit seinem distributed network erkannt und damit das Vorfeld dessen bereitet, was heute als selbstverständlich gilt: die mit den weltumspannenden Computern, den Satelliten und Telefonen verbundene, grundsätzliche Vernetzung. Tools wie Skype, Twitter, Facebook oder iPhone sind die logische Konsequenz. Die grafische Identifizierung der Ressourcen dieser Planet auf einer Dymaxion Map und dazu die Information über solche Ressourcen in Real Time, ermöglicht den Erdbewohnern, Terraniern oder Dwellings, wie Fuller sie nannte, nicht nur die Wahrnehmung geographischer Konzentration und Spezialisierung solcher Ressourcen, sondern sie bietet auch dem Individuum die Möglichkeit, Initiative zu ergreifen auf der Basis eines realen, faktischen, nicht übersehbaren Wissens. Das World Game übernimmt diese vier Aspekte und übersetzt sie in einem Spiel.

Ein Spiel ist ein System, das von einer anfänglichen Gleichheit zu einer Ungleichheit führt. Ein Spiel wird interessant, wenn es Aspekte einer Kultur anspricht, wenn die Spieler in der Lage sind, Überblick über Gegebenheiten zu gewinnen und darüber hinaus diese Fakten zu beherrschen, wenn ein Spieler eine gewisse Macht über den Mitspieler ausüben kann, um die ursprüngliche Gleichheit, die am Anfang jedes Spieles herrscht, für sich selbst zu instrumentalisieren, damit er oder sie am Ende einen Vorteil gegenüber dem anderen erreichen kann. Man kann nicht über Spiel sprechen, ohne über die Polarität von gleich/ungleich, Regel/Ausnahme, Gewinner/Verlierer, Macht/Ohnmacht, Tension/Dispersion, Spannung/Entspannung zu sprechen. Diese Polarität, als Teil eines Ganzen, macht ein Spiel spielbar. Die Komplexität der Regel ist aber kein Parameter, um ein Spiel interessant zu machen. Aleksej Iwanowitsch, der Spieler bei Dostojevski, kann sich vom einfachen Roulettespiel nicht trennen. Jorge Luis Borges beschreibt in der Lotterie von Babel ein Lottospiel, bei dem alle Teilnehmer gewinnen. Buckminster Fuller hat sich ein World Game ausgedacht, bei dem von einer anfänglichen Ungleichheit ausgegangen wird - also am Anfang des Spieles die Spieler von einer unterschiedlichen, ungerechten Ausgangslage ausgehen - und als Ziel die Gleichheit zu erreichen ist.

Für dieses Spiel werden wir eine dimaxionische Interphase bauen, die gleichzeitig von Streams aus der ganzen Welt gespeist wird. Ein Baustein davon kann das Projekt 80+1 von Linz09 sein, ein Stream, über den unterschiedliche Projekte nach Linz gelinkt worden sind. Weitere Bausteine sind aber auch Zentralen von Ressourcen und Rohstoffen, die verlinkt werden, wie zum Beispiel Elektrizitätswerke, Sender von wirtschaftlichen Indikatoren wie Börsen oder Häfen sowie Nahrungsmittelzentren oder Multiplikatoren von Informationen und Nachrichten. Alle diese Quellen sollen in Real Time über einen planetarischen Atlas oder Dymaxion übertragen werden. Die Besucher/Spieler werden so einen realen Einblick in den Zustand der Welt mit den eigenen Sinnen betrachten und erfassen können. Sie sollen oder können in diesem Spiel Maßnamen setzen, bzw. vorschlagen, um die beobachtete Ungleichheit, die auf dem Planet herrscht, zu korrigieren. Die Gewinner dieses Spieles sind diejenigen, die eine Gleichheit generieren können, der alle anderen Mitspieler zustimmen können.

Mit der Unterstützung von paraflows - Festival für Digitale Kunst und Kulturen und das Ars Electronica Center in Linz  könnte dieses Projekt eine ideale Plattform finden. Trotzdem ist die Finanzierung dabei bei weitem noch nicht gedeckt. Unterstützer in Form von Sponsoren oder Fundraising, die international agieren und die sich mit den kulturellen, politischen, sozialen, ökonomischen Aspekten der Gesellschaft auseinander setzen, sind willkommen. Das Projekt versteht sich als unverschämt breite offene Plattform, wo alle Akteure auf einer gleichen Ebene kommunizieren. Deshalb ist jede Art der Kooperation und vor allem der finanziellen Unterstützung möglich und profitabel für den Finanzier. Es liegt in der Weitsicht jeder Institution, wie sie sich selbst in Bezug auf planetarische Ereignisse involviert oder isoliert sieht, wie sie die eigenen Mauern definiert und in wie weit sich eine Institution als Subjekt versteht, das von den Weltereignissen beeinflusst ist. Das World Game bietet diesen Institutionen nicht nur die Möglichkeit, sich über die eigene Position im Weltgeschehen ein Bild zu machen, sondern auch Interaktivität und Interkommunikation mit anderen Subjekten.

© Enrique Guitart
Wien, Herbst 2009



Richard Buckminster Fuller


Thomas Saraceno


Attila Csörgo


Ingo Günther


Peter Sloterdijk


Project Cybersyn


Timaios


Hofstetter Kurt



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© Nina Stuhldreher, Enrique Guitart, Ronald Strasser, Ernst Tradinik
Wien, Herbst 2009


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Art Basel 2009 – Beitrag in „Diagonal, Radio für Zeitgenossen“ – ausgestrahlt am 20. Juli 2009


Vilfredo Pareto hat 1906 festgestellt, dass 20% der Bevölkerung 80% der Reichtum besitzt. Anetta Mona Chişa und Lucia Tkáčová untersuchen diese Aussage 100 Jahre später auf ironische Weise in Basel in der Galerie Christine König. Und die Reflexion ist nicht zu Unrecht. Eigentlich lebe ich als geborener Argentinier, zusammen mit 80 % der Weltbevölkerung, seit je in der Finanzkrise. Ich bin einen erfahrener Krisenbewohner und wenn die anderen auch einmal in der Krise sind, fühle ich mich nicht so alleine.
Für erfahrene Krisenbewohner gibt es nicht besseres als die Kunstmesse Art Basel zu besuchen. Aus Kostengründen bin ich in einer hübschen sauberen Pension – so hat mein Gönner gesagt- jenseits von Basel – meine ich - einquartiert. Immerhin ist mein Balkon doppelt so klein wie mein Zimmer. Ich teile mein halb so großes Badezimmer mit anderen 5 Bewohnern. Beim Frühstück erfahre ich, dass das separate Haus, die Villa Rosa, das zu unserer Pensionsbetreiberin gehört, heuer nicht mehr von einer berühmten berüchtigten Wiener Galerie gemietet ist. Aus Kostengründen. Wir dürfen also den Swimmingpool benutzen. Willkommen in der Krise!

Die Art Basel hat erreicht, alle verschiedenen Kunstbudgets, alle verschiedene Presseabteilungen, Homepages, Rezeptiongalas, Rahmenprogramme und Sonstiges, das irgendwie mit Kunst zu tun hat, einmal im Jahr, im Juni unter einen Hut zu bringen und durch ihre Strahlkraft zu beatmen. Das Ergebnis ist zumindest imposant. Neben der Art Galleries, der Galerienausstellung, gibt es die Art Unlimited für Arbeiten, die die Grenzen eines Galerienstands überschreiten, also riesige Installationen, es gibt die Art Statements, die als Biotop der noch unentdeckten Künstler gilt; die Art Conversations, wo créme de la créme der Kunstwelt uns jeden Tag erzählt, wie die Welt ausschaut, aber auch die Art Lobby, die Art Books, Magazines, Records, die Art Insitutions, Film und Public Art Projekts. Nicht vergessen die Volta 5 die Liste 09 und die Design Miami/Basel. Was in Österreich die ViennAfair, die Art Austria, die Art Week, die Kunst im Öffentlichen Raum, Soho in Ottakring ist – selbstverständlich übers Jahr verstreut und nicht aufeinander abzustimmen, ist in der Schweiz die Art Basel im Juni. Die Schweizer sind fähig alle verschiedenen Uhren zu synchronisieren und auf eine einzige Uhr abzustimmen, die für alle gleichzeitig tickt. Diese Uhr ist überall präsent und damit das Konzept auch alle verstehen, ist sie in riesenhafter Größe auf dem Platz vor dem Messegebäude aufgestellt. Heuer wird sie von einem ähnlichen imposanten und großen Werk begleitet, einer Skulptur von Valentin Carron, „überwindbar“, wie ihr Titel suggeriert, ein überproportioniertes schwarzes Kreuz, viel so groß für den Raum, auf dem es steht, aber nicht viel zu groß dafür, wofür es steht. „Willkommen im Kunst-Tempel“. Jetzt muss man leise sein, devot, dankbar, demütig, untergeordnet, die Uhr und das Kreuz stehen über uns.

Sobald man drinnen ist, in den Hallen, durch die Stände spaziert, sich die neuen und alten Positionen anschaut, vieles Altbekannte und Neue sieht, vergißt man, dass dort draußen in der Welt, eine Finanzkrise herrschen soll. Oder es ist etwa schon vorbei? Man trifft Direktoren von großen berühmten Institutionen, erstklassige Kuratoren, die besten Galerien der Welt und man ist schnell im Rausch. Die Kunst hat es überlebt! und sie wird uns möglicherweise sogar retten. Die Kunst ist scheinbar immun gegenüber denjenigen, die nicht einmal fähig waren, die Rechnungen richtig zu machen, diejenigen, die nicht Aktienkursen, Dividenden, Cash Flows oder sonstiges kalkulieren können, sind draußen geblieben. Hier herrscht eine hervorragende Stimmung.


Ich liebe solche Krisen, obwohl ich nach zwei Wochen Basel schon wieder Lust bekommen habe, mich selbst zu versorgen, selbst einkaufen zu gehen, frisches Obst und Gemüse zu essen. Für Campagner und Leckerli ist jetzt erst einmal ein Jahr Pause. Ich fliege zurück nach Österreich, ich steige ins Taxi wo das Radio läuft. Bekannte Sender, bekannter Akzent, ich höre zu. Eine kompetente sanfte Stimme erklärt uns die Vorteile, Seife selbst zu machen, warum und unter welchen Umständen der Schaum sich entwickelt. Köstlich. Willkommen in Österreich. Viva la Krise.


Enrique Guitart ist krisenresistent und lebt in Wien.

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Vorlesung – Seminar „Zeitgenössische lateinamerikanische Kunst“

Ziel

Relevante aktuelle lateinamerikanische Kunstpositionen hinsichtlich der Entwicklung ihrer Inhalte und Formen im 20. Jahrhundert zu beleuchten bzw. zu kontextualisieren.

Kunstwerke reflektieren soziale, politische, kulturelle und ökonomische Komponenten aus dem Leben ihrer Urheber, das ist kein Geheimnis. Im Fall von Lateinamerika sind das unter vielen anderen die lange katholische Tradition genauso wie der reaktionäre Militarismus, die Schere zwischen Arm und Reich genauso wie der fantastische Realismus.
Der Kontinent hat sich schon längst von den Traumata des Postkolonialismus erholt. Nach einem politisch und gesellschaftlich stürmischen 20. Jahrhundert, während dessen sich die Kunst von ihren alten europäischen Vorbildern endgültig abgenabelt hat, präsentieren sich heute kraftvolle, eigenständige Positionen, die ein anderes Licht auf die Kunst und ihren Daseinsgrund werfen. 


Methodik

Anhand von einzelnen Bewegungen des 20. Jahrhunderts, die Spezifika lateinamerikanischer Gegenwartskunst, ihre Wurzeln und ihre Vernetzungen aufzuzeigen.

Das Spektrum zeitgenössischer Künstler und Positionen, die heute auf dem Kontinent relevant sind, ist breit. Es sollen hier nur als Beispiel einige Namen genannt werden.

Ernesto Neto (Brasilien, 1964) ist einer der bedeutendsten Künstler Lateinamerikas.  Seine hängenden gefüllten Stoffskulpturen, durch die man wandern kann wie durch einen Wald, erinnern an die offenen Environments (Penetráveis) eines Helio Oiticica, aber vielleicht noch viel mehr an die aufblasbaren Skulpturen von Marcello Nitsche in den 1960er Jahren. Neto ergänzt oder vervollständigt sie aber, in dem er aus seinen hängenden Skulpturen ein Erlebnis zum Riechen, Hören oder Schauen macht. Man kann Neto eindeutig in der Tradition der Künstler sehen, die das Objekt nicht als Kunst zelebrieren, sondern es für die Allgemeinheit zugänglich sehen wollen, um eine Erweiterung der Wahrnehmung anzuregen.

Regina José Galindo (Guatemala, 1974) ist eine junge Performance-Künstlerin, die eine starke Sprache benutzt, um Themen wie die Unterdrückung durch Diktaturen, Religion, politische Macht und Frauendiskriminierung zu diskutieren.
Vielleicht ist noch ihr Video in Erinnerung, auf dem ihre Prozession durch Guatemala City zu sehen ist. Dabei trägt sie eine Schüssel voll menschlichem Blut, in der sie immer wieder ihre eigenen Füße wäscht – ihre Art von Protest gegen den Diktator vom Dienst. Ihre Videos wurden auf der 51. Biennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.

Maria Fernanda Cardozos (Colombia, 1963) Werke machen auf den ersten Blick einen romantisch-poetischen Eindruck, bei näherer Betrachtung zeigen sie aber die ungeheure Brutalität der Menschen. Natur und Mystik sind in ihren Werken nicht zu übersehen. Damit greift Cardozo auf eine subtile aber prägnante Art Themen wie Santería, Indianerkultur und Eroberung, aber auch Sammeln und Klassifizieren auf.

Eugenio Dittborn (Chile, 1943) thematisiert Wahrnehmungen über Raum und Zeit. Seine bekannten „Airmail Paintings“, Arbeiten, die zum Zusammenfalten und mit der Post in aller Welt zu verschicken sind, erinnern an Cildo Mireles Konzept, seine Werke auf Coca-Cola Flaschen und Geldscheinen zu platzieren und sich damit des Vertriebsystems der großen Konzerne zu bedienen. Inhaltlich aber folgen sie der Tradition des politischen Engagements (Nada Nada, 1980), reflektieren aber auch die Rezeption von Kunst auf verschiedenen geographischen Punkten in Zeit und Raum.

Auch Künstler wie Alfredo Jaar, Johanna Calle, Luis Camnitzer, Laura Anderson Barbata, Oscar Muñoz, Tania Bruguera, Django Hernández, Cinthya Soto, Jorge Macci, Maria Ezcurra und David Lamelas sollen in dieser Vorlesungsreihe vorkommen.

Die genannten einzelnen Bewegungen des 20. Jahrhunderts, die im Gegensatz oder als Quelle dieser Positionen zu beleuchten sind, werden im Dienste der besseren Verständlichkeit nach Ländern untersucht.

Brasilien
Die Tropicália Bewegung der 1960er Jahre mit ihrer Bestrebung, die Slums ins kulturelle Bewusstsein einzubinden, die reiche kulturelle Vielfalt des „Kontinents“ Brasilien in den Vordergrund zu stellen, Populärkultur ernst zu nehmen, ohne Popart zu sein. Um Künstler wie Helio Oiticica, Lygia Clark oder Marcelo Nitsche kommt man nicht herum, wenn man heutige Kunstpositionen von Mexiko bis Feuerland verstehen will.
Nicht unerwähnt bleiben kann in diesem Zusammenhang auch das Manifesto Antropófago (1928) von Oswald de Andrade, der erste ernstzunehmende Versuch, die Diversität der brasilianischen Kulturen in sich aufzunehmen und zu einer eigenen Identität zu verschmelzen.
Wegweisend in vielerlei Hinsicht war die Einrichtung der Biennale von Sao Paolo (1951), nach Venedig die zweitälteste Kunstbiennale der Welt. Die Bedeutung des Nova Objetividade Manifests (1967) und die Rolle der Konkreten Poesie für die Entwicklung der Kunst, soll ebenfalls thematisiert werden.

Argentinien
Die Entstehung des Instituto Di Tella mit seinem stärksten kulturellen Einfluss in den 1960er Jahren war für die gesamte Region von besonderer Bedeutung. Künstler wie Marta Minujin, Julio Le Parc oder Roberto Plate revolutionierten mit Pop art, Environments und Happenings das Kunstgeschehen. Auch die Künstlergruppe um Tucumán Arde (u.a. Maria Teresa Gramuglio, Leon Ferrari) änderten total das Verständnis von Kunst und ihrer Funktion. Die Kunst emanzipiert sich vom White Cube und geht auf die Strasse. Darüber hinaus sprengt sie die formalen Grenzen der bildenden Kunst und involviert Musik, Literatur, Theater aber auch Politik, Wirtschaft und natürlich die vielfältigsten Aspekte der Gesellschaft in ihr Projekt. Diese Bewegungen enden praktisch mit einer Revolution, aus der schlussendlich die brutalen Diktaturen der 1970er Jahre resultieren, die das gesamte politische und gesellschaftliche Leben auf dem Kontinent prägen sollen. Selbstverständlich wird in den Vorträgen auch auf die kulturellen Wurzeln der erwähnten Bewegungen in den 20er Jahren eingegangen, wie etwa die Avantgarde eines Emilio Pettoruti (rund um das Martin Fierro Manifest, 1924) oder den Surrealismus eines Xul Solar, sowie den starken literarischen Einfluss (Jorge Luis Borges) in einem Großteil der bildenden Kunst.

Mexiko und Kuba
Vom Muralismo der 20er Jahre (Diego Rivera, Frida Kahlo) bis zur Neo Figuración, über den Funcionalismo des Architekten Luis Barragán und die Nueva Presencia (80er Jahre) hat eine sehr einfach zugängliche Kunst das 20. Jahrhundert in Mexiko geprägt. Kunst findet statt unmittelbar auf den Fassaden von öffentlichen Gebäuden und wird bis heute als Selbstverständlichkeit im Stadtbild identifiziert.
In Kuba wird auch die bildende Kunst eng mit dem Alltagsleben verbunden. Santería,  religiöse Kunst und Mystizismus gehen Hand in Hand mit den Versatzstücken prä-kolumbianischer Kulturen, inkorporieren aber auch aktuelle kulturelle, politische und soziale Ereignisse. All das kann als Routenplaner dienen, wenn man bei aktuellen lateinamerikanischen Kunstpositionen landen will.


Schlusswort

Ziel ist nicht, alle Länder und zeitgenössischen Künstler hier enzyklopädisch vorkommen zu lassen, das würde den Rahmen einer Vorlesung oder eines Seminars in einem Semester sprengen. Behandelt wird eine Auswahl aktueller Positionen und ihre historischen Bezüge, ohne die sich die Zeitgenossen nicht verstehen lassen.

© Enrique Guitart
Wien, Sommer 2008


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Skin is longing for a cream –On sensitivity in art of women
quartier 21 - Mai 2008


Als Ergebnis des Artist in Residence Programmes vom quartier 21, zeigen vier Künstlerinnen und eine Kuratorin die Arbeiten die sie die letzten 3 Monaten gemacht haben. Enrique Guitart von Team Teichenberg hat über die Künstlerinnen und Kuratorin, Ihre Motivationen und den Kontext, in dem sie arbeiten, ein paar Notizen gemacht.



Klara Swantesson, Schweden 1980, Lebt in Denmark, cultur2culture

Sie macht Animationsfilme. Ihre Werke haben eine berührende Poesie und starken Kontakt mit der Realität. Die Mischung von ätherischer Schönheit und konkreter Realität macht ihre Arbeit außerordentlich. Sie kann Humor mit Ernsthaftigkeit kombinieren. Für sie ist zeichnen wie ohne Gravitation zu leben, und ohne Gravitation zu leben ist eben zwischen oben und unten zu sein, nicht aber darauf und auch nicht in der Mitte. Sie überlässt den Platz den Anderen: der Geschichte ihrer Mutter, Schlafenden, oder dem dokumentarischen Charakter Ihrer Illustrationen.

Zeichnung markiert den Ursprung von Kunst. Zeichnung hat mit Spontaneität, mit Präzision aber auch mit Vergänglichkeit zu tun: man nimmt einen Zeichenblock und man zeichnet es durch, ein Blatt nach dem anderem, aber was gezeichnet ist, ist nicht veränderbar wie bei Techniken mit Öl, Acryl oder Photographie. In ihren Zeichentrickfilmen sieht man diese Hingabe zur Zeichnung, zu Spontaneität. Es sind Zeichnungen die sich bewegen, haben aber das Statische und das Bewegliche in sich. Bei ihr ist der Bleistift stärker als die „Technologie“, die dahinter steckt und deshalb lohnt es sich das anzuschauen, weil es keine Alltags-Kunst ist.


Audry Penven, USA 1983, monochrom

Sie macht Fotographie und Collage, und setzt sich bewusst mit dem Prozess der Fotographie und den Materialen auseinander. Es interessiert sie aus alten Bildern, neue zu machen. Und obwohl sie das Know-how von Fotos entwickeln, Qualitäten von Papier, Chemie und Belichtungszeiten beherrscht, ist sie froh, wenn der Zufall im Prozess integriert ist.

Sie hat ein klares nonkonformistisches und rebellisches Verhalten gegenüber ihrem eigenen Werk. Sie provoziert bewusst eine Unordnung, eine Unreinheit, die wiederum ihre Weltanschauung widerspiegelt. Ihre Werke sind das Produkt eines Prozesses der damit beginnt, altes Material zu sammeln und in der Dunkelkammer endet. Das Ergebnis ist vielschichtig, eine Collage von Erfahrungen. Ihr Leben ist aber in Echtzeit, ohne Vergangenheit, ohne Zukunft, immer ein Heute, ein existenzielles Heute. Dieses Doppelleben, das pragmatische, materialbezogene auf einer Seite und das existenzielle (die Frage wer bin ich, wo ist mein Zentrum) sieht man deutlich in ihren Werken. Audry Penven arbeitet mit solcher Intensität, so starkem Bewusstsein und einer solchen Klarheit über die Unmöglichkeit Ordnung zu schaffen, dass uns ihre Werke perplex lassen.


Nancy Mauro-Flude, Australien 1975, subotron

Sie ist eine Net-Data-Performing Künstlerin, die sich mit der Beziehung zwischen Technologie und Real Life auseinander setzt. Sie bedient sich u.a bei populären Videogames und hinterfragt die bestehenden Modelle von Macht und sozialen- und kulturellen Realitäten. Sie untersucht die Aspekte der kapitalistischen Videogame-Industrie. Ihre Kriegsspiele, in denen der Spieler seine eigene Identität verlässt (oder sich entblößt?) um sich in eine andere Rolle zu versetzen, zeigt ihr kritisches Verhalten. Diese andere Rolle wird wiederum als theatralisch empfunden und öffnet Nancy Mauro-Flude die Türe zu ihrer performativen Arbeit. Hier ist sie Teil der Maschinerie, wo sie einander gegenseitig (Maschine und sie) bestimmen. Das sind formale Aspekte und die Zusammenhänge ihrer Arbeit. De facto, ist sie eine Underground Künstlerin, die im Underground bleibt. Und so wie eine echte Underground Spielerin ist sie subversiv, ätzend, surrealistisch und mystisch. Sie untersucht mit ihren Arbeiten diese ewigen Aspekte der Technologie und des Menschen und findet Parallelitäten. Man kann jede beliebige Arbeit von ihr nehmen, man wird immer die Konfrontationen zwischen oben und unten sehen und zwischen ich und dem Anderen spüren. Man wird aber nicht wissen, auf welcher Seite man selbst ist.


Jessica Errey Adt, alias Jesse Darlin, UK, lebt in Amsterdam, monochrom

Performance Künstlerin, Photographin, Videomacherin. Sie hat eine epische Art ihre Kunst darzustellen. Sie ist im wörtlichen Sinn das Gegenteil einer Underground Künstlerin, sie bedient sich aber von unten, sie lebt oben, ganz oben, und schnell, auf der Strasse. Sie macht aus Kunst etwas Lebendiges, Spontanes, Direktes, Offenes, Selbstbewusstes. Sie ist eine Schriftstellerin und Denkerin einer jungen urbanen vitalen Straßenkultur (im Gegensatz zu Museumskultur). Sie arbeitet gegen die Sex Industrie und entmythologisiert das Bild vom fragilen schutzlosen Mädchen. Sie lässt sich in keinem Medium, in keiner Akademie festhalten. Sie ist mit beiden Füßen auf der Strasse, in Seattle, in Amsterdam oder in London. Jetzt ist sie in Wien.


Ivana Moncolová, Slowakei 1980, Erste Bank

Kuratorin mit Schwerpunkt Feminismus und Gender. Sie hat sich mit sozialen, politischen und kulturellen Themen in Ost- und Südosteuropa auseinandergesetzt. Sie hat in der Slowakei und im Ausland an mehreren Publikationen mitgearbeitet. Sie arbeitet lokal, denkt aber international. Für diese Ausstellung hat sie sich mit aller Kraft, Enthusiasmus und Engagement eingesetzt. Als sie vor drei Monaten nach Wien gekommen ist, war sie mit vier verschiedenen Künstlerinnen konfrontiert und es ist ihr Verdienst, diese Positionen zu bündeln und allem eine Einheit zu geben. Sie ist schlussendlich verantwortlich für den Titel der Ausstellung, der Art der Präsentation und die ausführlichen Texte, die über die Künstlerinnen und ihre Projekte im Rahmen dieser Ausstellung entstanden sind.


© Enrique Guitart
Wien, Mai 2008

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Andreas Reiter Raabe, zwischen Bild und Abbild


Die Arbeiten von Andreas Reiter Raabe lassen sich wie Systeme von Bildern, Fotos oder Installationen lesen. Diese Systeme, die aus zwei oder drei Komponenten bestehen, sind die Konstante in der Vielfalt der Medien, die Reiter Raabe benutzt.
Da sind etwa seine Arbeiten von Acryl auf Leinwand: auf einer Seite gibt es Bilder von Sphären oder Streifen. Sie wachsen über das eigentliche Werk hinaus und tropfen auf eine zweite Leinwand. Dabei entstehen die zweiten Ebenen dieses Systems: getropfte Bilder. Inzwischen sind wir, als Betrachter, ein dritter Teil des Ganzen, zwischen Ursache (gemalte Sphäre oder Streifen) und Wirkung (getropftes Bild). Wir sind innerhalb des Werkes. Wir stehen zwischen beiden Elementen und sind doch auch in jedem Element repräsentiert: wir sind diese Sphären oder Streifen, manchmal verknäuelt und zusammengedrückt, manchmal getrennt, manchmal in Gesellschaft, manchmal Einzelgänger. Das Andere, das getropfte Bild, ist wie eine Reflexion von uns selbst, wie ein Anderes von uns selbst, das wir auch sind. Der dabei entstehende Raum ist etwas Subtiles, Fragiles, nicht taktil Greifbares, etwas Immanentes, etwas Ontologisches aber etwas Konkretes, eben der Raum wo wir sind.

Das Gleiche gilt für Andreas Reiter Raabes Fotoserien: ein Bild mit einem Text wird produziert, in eine Landschaft gestellt, fotografiert und zusammen mit anderen, gleich produzierten Arbeiten, wieder an einem anderen Ort ausgestellt. Die Räume wiederholen sich wie Spiegel, die sich gegenseitig reflektieren: das Bild, die Landschaft, die anderen Bilder und wir, wieder woanders, als Betrachter; wieder Ursache, Wirkung und wir als Zeuge zwischen allem.

Reiter Raabe verweist durch seine Bilder auf einen Raum, entwirft Membrane einer Sphäre, die sich mit anderen in Verbindung setzt. Innerhalb und zwischen diesen Sphären sind die Räume: Wände oder Begrenzungen von Räumen, deren Deklinationen. Er benutzt seine Bilder als Instrumente, um etwas Anderes zu zeigen. Sie sind Wegweiser für das Nicht-Objektivierte, für das Nicht-Objekt sein, also für das Subjekt. Seine Bilder sind Objekte, die Subjekte definieren. Die Bilder versuchen eine mögliche Welterklärung durch ein System darzustellen, das andere nicht ausschließt. Seine Intention ist aber nicht, die Welt zu erklären. Seine Werke tun es, ohne dass der Künstler es bewusst wollte. Diese Arbeiten sind vielmehr irrationale, treffliche Weltdarstellungen und Weltwiderspiegelungen.

Besonderes interessant zu entdecken und sich zu vergegenwärtigen ist die Entwicklung und Entstehung des bildnerischen Prozesses. Von den dicht bevölkerten Sphären und wilden Farbkombinationen einerseits, zu den ruhigen oft monochromatischen Bildern, in ihren intensiven und gelassenen Farben andererseits. Oder die Wandmalerei, wo der Träger (die Wand) sukzessive verschwindet, wie auch das unbekannte Andere langsam verschwindet und doch präsent bleibt.  All das verweist auf die Zweiheit, auf diese präzisen Formen und Subjekte, die sein Universum bevölkern.

Es ist gesagt worden, dass Reiter Raabe ein „Philosoph in Aktion“ wäre, was sicher treffend ist. Der Philosoph versucht durch Wörter, Redewendungen, Formulierungen, philosophische und psychologische Quellen die Welt in einer bestimmten Zeit darzustellen. Andreas Reiter Raabe versucht durch seine Bilder, Fotografien, Installationen und Dokumentationen, wiederzugeben, was er spürt. Der Eine ist rational, der Andere irrational, beide beschreiben das Gleiche. Der Eine beschreibt uns, der Andere malt uns.


© Enrique Guitart
Wien, November 2007


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Lia & Dan Perjovschi - Christine König Galerie 2007

Die rumänische Künstlerin Lia Perjovschi beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit der Sammlung, Archivierung, Strukturierung, Distribution und Vermittlung von Wissen aus Gesellschaft, Politik und Kunst. Sie verzeichnet und dokumentiert historische Begebenheiten, die einen Kontext für Ereignisse in der Gegenwart abgeben. Dabei dient ihr eigener biographischer Hintergrund (Ihr Leben unter der Diktatur von Ceauşescu) als Grundlage ihres spezifischen künstlerischen Ausdrucks, der immer auch eine politische Aussage beinhaltet.

Lia Perjovschi hat sich auf diese besondere Arbeitsweise direkt nach der rumänischen Revolution 1989 spezialisiert, um bis zu dieser Zeit nicht verfügbare Inhalte und deren Zusammenhänge zu kommunizieren. Bereits 1987 hatte sie das „Contemporary Art Archive“ CAA gegründet: „CAA is a space for contemporary art, an information centre, a place for alternative art education, an interdisciplinary meeting point, an organic, flexible, ongoing process, a context in motion, a museum in files“. Seit 1991 präsentieren sie und ihr Partner Dan Perjovschi in ihrem gemeinsamen Atelier das „Open Studio“ ihre allen Interessierten frei zugängliche Archivsammlung von Materialien zur internationalen zeitgenössischen Kunst und Kunsttheorie.

Dan Perjovschi ist zuallererst, ein ausgezeichneter Zeichner, ein markiger, witziger Kommentator von sozialen und politischen Ereignissen und vom zeitgenössischen Kunstsystem. Perjovschi’s Zeichnungen sind größtenteils ephemer und temporär: sie werden entweder für eine Zeitung gemacht und damit nur für den Tag, oder auf die Wänden von Ausstellungsräumen gemalt oder gezeichnet und dann nach der Show ausgelöscht.
Der Schlüssel der Komplexität seiner Arbeit liegt im politischen Engagement, das er durch seine Mitwirkung an zwei rumänische Zeitschriften zeigt, an denen er nach dem Fall des kommunistischen Regimes beteiligt war: „Contrapunct“ und die oppositionelle Zeitschrift "22" (er arbeitet noch für diese als politischer Illustrator und Artdirektor).

Sowohl hier als auch im Rahmen von Systemen wie bei der „Contemporary Art Archive“ zeichnet sich Dan Perjovschi als Aktivist, der seine Arbeit und seine Kunst für seine politischen Überzeugungen einsetzt. Unabhängig davon auf was sich Perjovschi fokussiert - auf Zeichnung, textliche Kommentare, oder das Archivieren - behält seine Arbeit die Struktur und Charakter eines Kunstwerks.

In der Zusammenarbeit von Lia und Dan Perjovschi findet man die Spannung und Bedeutung beider Positionen am bestens: die archivarische, historische und gleichzeitig statische aber auch dynamische Dokumentation als Suche und Unterstreichung einer Identität – die Rumänische, die Osteuropäische – , die durch des CAA entsteht; und gleichzeitig das Vergängliche, Temporäre, Kurzfristige oder Flüchtige,  banales oder alltägliches, das durch die Leichtigkeit der Zeichnung und Ihre Themen die Bedeutungslosigkeit des Individuum hervorhebt.

Bereits Anfang der 90er hat die Galerie Christine König  Arbeiten von Lia und Dan Perjovschi gezeigt. Jetzt nach mehr als 10 Jahren und nach mehreren Biennalen, internationalen Preisen und Ausstellungen in erstklassigen Institutionen wie das Tate Modern in London, das Centre Pompidou in Paris oder das MoMa in New York, werden beide Künstler wieder eine Arbeit für und in der Galerie machen: Lia wird ihre „Maps of Impressions“, als Erweiterung und Vervollständigung  ihr seit XX initiiertes Projekt in der Galerie präsentieren; Dan wird mit malerischen und zeichnerischen Mitteln den Galerieraum auf die Straße hinaus brechen, analog zu seinem kartographisch geopolitischen Atlas.


© Enrique Guitart
Wien, Oktober 2007


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Gustavo Mendez-Liska
Der Rhythmus des Fächers [ein spiel in progress]


Gustavo Mendez-Liska befasst sich seit seiner Jugend mit Musik und Musiktheorie auf der Suche nach Notationen, die die Pausen andeuten. In diesem Sinne, war für ihn der Rhythmus ein Element, das eine Abfolge von Ganzen-, Halben-, Viertel- und Achtelpausen ermöglicht hat, vielmehr als die Noten, die dazwischen gespielt worden sind. Diese Aufmerksamkeit auf die Pausen und die Form wie man sie ausdrückt, bzw. die Stille und Kraft dieses Nicht-Klanges und Nicht-Sounds, hat er so weit getrieben, dass er schlussendlich anfing, andere Mittel in Betracht zu ziehen, um diese sinnliche Vision auszudrücken. So hat er begonnen, in der bildenden Kunst zu experimentieren, wo er schließlich seine Heimat gefunden hat und mit der er auch bekannt geworden ist.

Nach einer ersten kurzen Phase figurativer Malerei hat er verstanden, dass nicht das Objekt sondern viel mehr der Raum zwischen den Objekten in aller Schärfe zu thematisieren ist. Dementsprechend werden seine Arbeiten (Bilder, Installationen, Videos) abstrakt. Formal ist es sein Bestreben Farben, Materialen, Licht und Schatten im Bild zu organisieren, bis das Nichtgemalte zum Ausdruck kommt. Früher hat er mit Diptychen und Triptychen experimentiert, bei denen dieser hervorgerufene Raum zwischen den Bildern Bestandteil derselben war. Die Werke lassen sich von links nach rechts lesen, wie eine Partitur, auf der die Noten und vor allem die Pausen angedeutet sind. Die Tiefe oder das Volumen seiner Arbeiten verweisen auf ihre eigene Resonanz. Der Höhepunkt dieser Arbeit findet dann ja in der Ausstellung seiner Bildern statt: die Sorgfältigkeit der Hängung hat nur den Sinn, die leeren Räume zwischen den Bildern zu betonen und eine Kommunikation zwischen Objekten und nun auch Besuchern zu ermöglichen. Hier verschwinden die einzelnen Werke, um eine gesamte Idee darzustellen. Der ideale Raum wird schon in der Entstehung seiner Arbeiten durch die Auswahl verschiedener Techniken wahrgenommen. Folgerichtig sind seine Arbeiten nicht für den Sammler und seine Kunstdepots gedacht. Es sind vielmehr Werke, die durch Hängung und Installieren in der Resonanz von Raum, Objekt und Besucher zu verstehen sind. So distanziert er sich ungewollt von dem Kunstrausch und der Mode, was wiederum Authentizität und Unabhängigkeit bringt. Er kann nur a-temporär aber dafür rhythmisch arbeiten.

Mit dem „Rhythmus des Fächers“ will er jetzt die gesamte Erfahrung: Musik, Pausen, Nicht-Sound, Beschreibung von Pausen und Stille ein absolut neues System in den bildenden Kunst und Musik erforschen. Dieses System ist schon im Mesmerismus und in der philosophischen Sphärologie beschrieben worden. Er spricht über ein System von Wechselwirkungen, also über die gegenseitige Beeinflussung verschiedener Objekte in einem Raum und über die Beschreibung eines Raumes durch die Elemente, die er beherbergt, ohne den Raum selbst zu nennen. Die Analogie dafür hat er in dem Raum, den ein Fächer beschreibt. Der Fächer formuliert und bereist einen Raum der zwischen zwei imaginären Punkten oder Tönen eine bestimmte Masse in Bewegung setzt. Die Wiederholung dieses Aktes ergibt für den Akteur einen Moment der Erleichterung. Er erklärt, dass die Töne per se nicht relevant sind, sondern die Interaktion zwischen diesen Tönen bedeutsam ist. In dieser Beschreibung erklärt sich seine Negation von Sammlern, Galeristen oder Künstlern, die allein agieren, gegenüber der Interaktion der verschiedenen Subjekte. Das Individuum wird entmythologisiert und einer Gruppe untergeordnet, die Mystik wird dem Mysterium zurückgegeben.

Dieses Unbekannte gilt es durch das Mitspielen von verschiedenen Akteuren zu induzieren: Künstler, Musiker, Graphiker und Schreibende. Alle versuchen in ihrer Fachkompetenz und durch ihre eigene Erfahrung das Unbekannte, die Pausen zwischen zwei Noten, den Raum zwischen der Bewegung eines Fächers zu beschreiben und die dadurch entstehende Sphäre zu evozieren. Jede Position für sich ist unbedeutend, in der Form abstrakt und im Inhalt bipolar, zweiseitig und mit einer internen Resonanz. Das Zusammenspiel jeder einzelnen Form aber beschreibt ein Universum, das die Bedeutung der einzelnen Positionen widerspiegelt.

Dieses Projekt wird durch staatliche und private Institutionen mitfinanziert.

© Enrique Guitart
Wien, Februar 2007


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Buenos Aires Loop – KunsthalleWien
4. Mai – 6. Juni 2006

Literatur und Poesie haben eine lange Tradition auf dem südamerikanischen Kontinent. Kaum ein Künstler, egal welcher Sparte, hat sich nicht auf die wichtigen lateinamerikanischen Literaten bezogen. Bei der Musik sind Texte oft viel tiefgreifender und innovativer als die Musik selbst. In der Bildenden Kunst findet man auch sehr oft Texte in den Werke. Im Film waren immer Poesie und Andeutung erprobte Mittel. Ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, dass in den letzten Jahren ein Wandel dieser Neigung stattgefunden hat. Die literarische Referenz bleibt noch immer, formal findet man gerade in der  Bildenden Kunst neue Wege.

In der spezifischen Auswahl der Werke, die hier zu sehen sind, handelt es sich um junge Künstler aus Südamerika, die neue Formen der Darstellung ihrer eigenen Beobachtungen anstreben. Ihre Themen sind unter anderem die Wahrnehmung und das Festhalten eines hoffnungsvollen Augenblickes, der für eine Jugend ohne erfreulichen Perspektiven von Bedeutung ist („Try to Remember“), oder das Gegenteil, die Feststellung der Unmöglichkeit einer Ordnung („Styrofoam “). Es geht um die Infragestellung der Mittel der Religionen - nicht als Negation der Spiritualität sondern als Untersuchung ihrer Inszenierung („ON/OFF“),  oder um das Bild der Männer in der Gesellschaft, wenn eine Frau Männer als ästhetische Objekt bewertet und rechtfertigt („Why are you so cute?“).  Gezeigt wird auch Langeweile, Sinnlosigkeit oder das stereotype Verhalten der bürgerliches Gesellschaft („Revistas“), oder, schlussendlich, der Blick auf das Allgemeine, auf das Nicht-Bekannte, Nicht-Wahrgenommene, kurz auf die namenlose Masse durch ein minimales Werk wie „The Song of the End“, das diesen Loop abschließt.

Diese Arbeiten sind Stimmungen und Erzählungen dieser Stimmungen. Das Erzählerische ist immer da und es präsentiert sich manchmal in bekannten Formaten, wie Soap Opera (keine Sit-Com), Interview, oder surrealistische Erzählung á la fantastische Literatur. Aus der Perspektive des Betrachters in Wien, möchte ich die Frage aufwerfen, ob die Bilder, die man hier sieht, nur auf eine lokale Realität fokussieren, oder ob sie nicht viel mehr eine universale Gültigkeit haben, Beobachtungen sind, die gleichzeitig in Buenos Aires, in Dakar oder in Wien stattfinden können. Die Sprache ist eine andere aber die Intention ist die gleiche: im Allersubjektivsten Allgemeingültiges zu formulieren. Ich glaube, dass diese Intentionen in „Buenos Aires Loop“ zu erkennen sind.



Jorge Macchi

Jorge Macchi lenkt seine Aufmerksamkeit auf das, was fehlt oder auf das, was zu viel ist, um das Auge darauf zu fokussieren, was es gibt, was aber auf den ersten Blick nicht wahrgenommen wird. Er lenkt seinen Blick auf das Unbemerkbare, auf die Fußnote, auf den Rest, auf die Brüche. Existierende Texte spielen oft eine zentrale Rolle in seinem Werk. Dieser Text wird aus dem Kontext herausgenommen um eine neue Lektüre zu ermöglichen: in „The song of the end“ ist es der Abspann, ohne wirklichen Film, in „Citas“ („Zitaten“) gibt es nur Anführungszeichnen ohne Text, in den Satie-Partituren werden die Noten durch Nägel ersetzt. Seine Werke sind Einladungen zur Reflexion in aller Stille. Jorge Macchi lenkt das Interesse der Beobachter auf die Abwesenheit, die Beobachtung dessen, was man nicht sieht, oder nicht sehen will. Diese explizite Suche wiederholt sich auch auf seinen Plänen und Landkarten oder in seinen Installationen.

Jorge Macchi war der argentinische Beitrag zur letzten Biennale in Venedig, seine Werke sind in bedeutenden Sammlungen in aller Welt vertreten, wie Daros in Zürich oder MALBA in Buenos Aires. Jorge Macchi arbeitet mit Objekten aus dem täglichen Leben, hauptsächlich mit Texten aus Zeitungen in Bildern, Videos und Installationen. Er sucht nach den Spuren, die Dinge hinterlassen, beobachtet sie und folgt ihnen.

Die Arbeiten von Jorge Macchi kann man wie einen kritischen und aufmerksamen Blick auf das alltägliche Werden sehen. Sie sind im Alltäglichen verwurzelt und versuchen Stille und Pause im Lärm der Stadt zu kreieren. Er versucht, Momente, die für Ihn bedeutend sind, festzuhalten. Er arbeitet wie ein Fotograf ohne Fotoapparat, aber mit der gleichen Intention, relevante Aspekte wiederzubeleben. So entstehen Textfetzen, die aus dem Zusammenhang gerissen werden. Sein Interesse ist auf die Massenmedien gerichtet, aus denen er die Information filtriert, um die Aufmerksamkeit auf beinahe unbemerkbare Ereignisse zu lenken. Die Ereignisse, die Teil der einzelnen Nachricht sind und die am nächsten Tag aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden, werden zum Grundmaterial seiner Arbeiten. Diese Themen oder Nachrichten sind dann nur für das Subjekt der Nachricht relevant und in zweiter Instanz für Jorge Macchi und jetzt für den Besucher, der durch seine Werke dessen Umfeld überlegt und von neuem betrachtet. Sein Diskurs ist aber nicht nur linguistischer Art, sondern er verweist durch seine Installationen und Grafiken auch auf eine neue Lektüre von Gewalt und Willkürlichkeit in der Gesellschaft.


Jorge Macchi ist 1963 in Buenos Aires geboren und lebt und arbeit in Buenos Aires

La canción del final (The Song of The End), 2001
Piece made in collaboration with the musician Alejandro González Novoa
Video: 5:30 minutes. Edition: 4
Malba-Colección Costantini, Buenos Aires, Argentina



Ruy Krygier, Buenos Aires, 1972 – Lebt und Arbeit in Buenos Aires


Mit seinen Interventionen in Theater und Kino ist Ruy Krygier einer der jungen argentinischen Künstler, der sich in den letzten Jahren am meisten etabliert hat. Die urbane Sprache und die Kraft seiner Videoarbeiten reflektieren das soziale, politische und ökonomische Umfeld, in dem er lebt. Innerhalb der langen Tradition des Mediums Film auf dem Kontinent, zieht Ruy Kriegier den formalen Abstand zum schon Gemachten vor, um eine neue Art und Sprache zu suchen. Trotzdem verweisen seine Themen immer noch auf seine Kultur und Tradition und sind Metapher seiner Wirklichkeit, die durch die Absurdität eine zentrale Rolle spielen. Diese beide Aspekte, der formale und der referentielle, unterscheiden ihn von den anderen und machen ihn zu einem typischen Vertreter der neuen Videokunstströmungen in Buenos Aires.



Daniel Gimelberg, Buenos Aires, 1965 – Lebt und arbeit in Buenos Aires und Barcelona


Mit starken Wurzeln im Video Clip und der VideoArt, verfolgt Daniel Gimelberg für Lateinamerika unkonventionelle Wege. Mit seinem trockenen und scharfen Humor, hat sein erster Spielfilm, Hotel Room, beachtliche Kritiken und enormes Echo in Buenos Aires und Barcelona gefunden. Er arbeitet mit den Methoden von Suspense und Krimi; sein Hauptaugenmerk liegt aber auf dem Zufall, durch den kleine Details ein Leben verändern können. Da der Film in schwarz/weiss gedreht wurde, assoziiert der Zuschauer die Bilder sofort mit alten Hitchcock Filmen. Durch die Art des Humors und seine zeitgenössische Relevanz macht sich der Regisseur den Zuschauer aber zum Komplizen in der Gegenwart. Die Produktionsbedingungen und die wirtschaftliche Situation auf dem Kontinent sind wiederum in seinen Werken nicht zu übersehen: „Hotel Room“ ist in Daniel Gimelbergs eigener Wohnung gedreht; „1150 Kg“ hat als Setting nur einen Aufzug.



Eduardo Daniel Navarro, Buenos Aires, 1979 – Lebt und arbeit in Buenos Aires


„Skulptur ist, wie wenn die Schauspieler einen Zweifel, eine Fantasie spielen; sich im Juni als Santa Claus verkleiden“ meint Eduardo Navarro. Und das lässt sich in seinen Werken auch sehen. Sie sind Komplizen des Betrachters, die ihn zum Grinsen einladen. Seine aufblasbaren Objekte, seine dick gepolsterten Menschen oder seine Installationen mit nutzlosen elektrischen Geräten gehören zu einer Welt der Übertragung. Dieser junge Künstler übernimmt eine erzählerische Tradition, die in Buenos Aires nicht zu übersehen ist. Seine Annährung an soziale Themen sind in der fantastischen Literatur eines Julio Cortázar zu finden. Es gibt da eine Leichtigkeit, die seinen dicken Figuren widerspricht. Bekannte Themen bekommen eine neue Optik. In „on/off“ unternimmt ein junger Mann eine lange Reise, um das spirituelle Licht zu empfinden und zu sehen. In einem Land, in dem die Religion eine so starke Rolle spielt, hat diese Inszenierung keine geringe Bedeutung. Trotzdem findet man aber auch Parallelitäten zu europäischer Religiosität und Spiritualität, die zeigen, dass seine Werke weit über lokale Realitäten hinausgehen.



Paula Delgado , Montevideo, 1977 – Lebt und arbeit in Buenos Aires und Montevideo


Daniela Delgados Videos, Fotos und Installationen entstehen aus einem starken sozialwissenschaftlichen Interesse. Sie ist Mitbegründerin des Vereins Movimiento Sexy (Sexy Bewegung), in dem sie die öffentliche Wahrnehmung des Individuums und seines Umfelds durch künstlerische Interventionen in der Öffentlichkeit hinterfragt. Arbeiten wie „Teléfono Compulsión“ eine Art „reality phone“ oder „El Album“ zeigen immer wieder ihr Interesse an sozialen Themen. Letzteres ist ein Fotoalbum einer Hochzeit, die nie stattgefunden hat, eigentlich ein Placebo, das den gesellschaftlichen Drang nach einem Hochzeitsfest exorzieren soll. Mit ¿Cómo sos tan lindo? Why are you so cute? bearbeitet sie ein Work in Progress, das in mehreren Ländern und Kulturen stattfinden soll. Sie versucht damit, die ästhetische äußerliche Selbstwahrnehmung der Männer unter die Lupe einer Frau zu nehmen. Sie will, dass das männliche Geschlecht sich Gedanken über die eigene Schönheit macht, bzw. versucht sie als Frau den Männer auch körperliche Schönheit zuzusprechen.



Dani Umpi (Daniel Umpiérrez) , Tacuarembó, 1974 – Lebt und arbeit in Buenos Aires und Montevideo


Dani Umpi hat sich in Argentinien, Brasilien und Uruguay einen Namen gemacht. Seit seiner Ausstellung „Dani Umpi Records“, 2001, in der er eine nicht existierende Plattenfirma mit einem nicht existierenden Musik-Star präsentierte, gilt der Performance Künstler und geniale Selbstdarsteller als Liebling der Nation. Seine Methode ist die Wiederbelebung von traditioneller Musik und Pop durch eine verrückte Solo-Inszenierung. Er benutzt bewusst ihre Bühne um seine Performances zu machen. Schlechte englische Übersetzungen von bekannten Texten, eine schlechte Stimme und seine selbstbewusste Provokation haben ihn in die Top Charts der bildenden Kunst und der Musik Szene gebracht. Er benutzt alle möglichen Medien, um in die breite Öffentlichkeit zu kommen, wobei er die typisch lateinamerikanische Ästhetik kompromisslos eigenwillig umsetzt. „Try to Remember“ zeigt einen Moment während eines Geburtstagsfestes, der sich zu immer neuen Varianten desselben Liedes immer wieder wiederholt. Das ist wieder ein Versuch, sich in den Mittelpunkt zu stellen und einen starken Augenblick für ewig festzuhalten.



Gustavo Mendez-Liska


Die Struktur, die Form und die Oberfläche spielen eine bedeutende Rolle bei allen Arbeiten von Gustavo Mendez-Liska. In Textur und Farbe findet man eine starke Analogie zur Erde, zu Urgestein, zur Natur und gleichzeitig zum alten verblichenen Papier, das von den alten europäischen Zeichnungen bekannt ist: eine braune Oberfläche, die das Werk umfärbt. Seine Technik besteht aus dem Aufbringen mehrerer Schichten, die am Ende eine kompakte Struktur ergeben. Es gelingt ihm damit, die Komplexität seiner Realitäten durch eine spezifische Leichtigkeit zum Ausdruck zu bringen. Die optische Rauhheit der Oberflächen, die Ockerfarben erinnern an präkolumbianische, historische Kunst. Die zeitgenössischen Materialen und Techniken verweisen aber unwiderruflich auf das Heute. Der neue, lateinamerikanisch-europäische Mischling ist gelungen.

Gustavo Mendez-Liska verkörpert zwei Kulturen, oder mehrere, und lädt den Betrachter ein, sich damit auseinander zu setzen. Manchmal wird ihm erlaubt, in die Tiefe des Werkes zu gehen, manchmal findet er sich darin reflektiert, immer ist er präsent. Paradoxerweise spiegelt sich der Betrachter in der starken Subjektivität des Künstlers. Ob er auf der einen Seite oder auf der anderen steht, ist dann als Option nicht mehr relevant. Es sind nur zwei Räume oder Möglichkeiten, in denen sich der Betrachter inkludiert oder fremd fühlt. Nie aber wird er nicht wahrgenommen.

„Doppeldecker“ fokussiert auf einen bedeutenden Teil Wiens, der Gürtel Linie, die als Rand zweier Realitäten fungiert. Dieser Wiener Gürtel ist der Wendepunkt zweier unterschiedlicher Welten, die wiederum zu einer eigenen Welt werden. Dieser geographische Punkt existiert in jeder großen Metropole und in jeder Metropole ist er der Wendepunkt, der Streitpunkt, der Bewertungspunkt, der Entscheidungspunkt, die Definition: weiß oder schwarz, gut oder schlecht, oben oder unten. Gustavo Mendez-Liska thematisiert diese zwei Ebenen und denkt darüber simultan, gleichzeitig, fast laut, fast schreiend, reflektierend, konstant, bewertungslos, faszinierend, rot....


Gustavo Mendez-Liska ist 1968 in Puerto la Cruz, Venezuela geboren – Lebt und arbeitet in Wien und Venezuela

Gustavo Mendez-Liska
Doppeldecker, 2006
80 Dias, Farbe
Courtesy Gustavo Mendez-Liska


© Enrique Guitart
Wien, Frühling 2006

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[A wie Register]


Über Wien gibt es zahlreiche Publikationen, jede für sich konzentriert sich auf einen Aspekt des vielfältigen Lebens in der Metropole: Tourismus-Routen, Architektur-Guides, Musik Meilen, etc. Keine aber hat den Anspruch, ein enzyklopädisches Bild zu schaffen.

[A wie Register] ist ein Forschungsprojekt über die Stadt Wien, mit dem Ziel, ihre Einwohner und Charakteristika ans Licht zu bringen. Wir halten es im Hinblick auf Wien für relevant, ein Kompendium der Merkmale aus einer sozialen Perspektive zusammenzustellen, ein Werk, das die Stadt widerspiegelt. Es soll ein Beitrag nicht nur für das Verständnis ihrer Einwohner sein, sondern auch ein Referenzwerk für die Leute, die von außen einen Einblick in die Stadt gewinnen wollen. Diese Arbeit will einerseits ihre Einwohner mobilisieren, die Stadt zu definieren und zu zeigen und andererseits erforschen, wie sich die Bewohner sehen und definieren. Die Informationen kommen von einer Vielzahl verschiedener Quellen. [A wie Register] hat vor, die Information im Einzelnen nicht zu objektivieren, sondern durch die Bündelung einer maximalen Menge subjektiver Sichtweisen eine größtmögliche Objektivität zu erzielen. [A wie Register] ist ein Projekt, in das alle involviert sind, ein Projekt, das alle Bezirke Wiens reflektiert und von allen mitgestaltet wird. Es ist kollektiv. [A wie Register] will die kulturelle Vielfältigkeit Wiens thematisieren und dokumentieren.

Projekt

In Form eines Foto Grafischen Wörterbuches soll ein alphabetisches Register zusammengestellt werden, die Geschichte, Alltagskultur, Begriffe und Besonderheiten Wiens repräsentieren und in der Wahrnehmung der eigenen Kultur präsent sind. Dieses Register besteht hauptsächlich aus Fotos, die wie Einträge in einen Wörterbuch gegliedert sind. Der Umfang des Projektes hängt von der Teilnahmebereitschaft der teilnehmenden Personen ab, die es gilt zu mobilisieren. Unser Ziel ist es etwa 4000 Beiträge zu erhalten. Besonders spezifische und wissensrelevante Begriffe werden durch einen journalistischen Beitrag ergänzt. Im Anhang werden in einem Glossar Begriffe und Fotos erklärt, eine ausgewählte Bibliografie zum Thema Wien und die Credits erfasst. Das Werk wird wie eine Stadt oder wie ein Wörterbuch umfassend und zeitlos. Es ist auch ein Sprachrohr für ihre Bewohner.

Methodologie

Bereits existierende Arbeitsgruppen oder Gemeinschaften wie Arbeits- und Interessensgemeinschaften, Bildungswerkstätten und Bürgerinitiativen werden durch Inserate in Zeitungen sowie E-Mails und andere PR-Strategien kontaktiert und um ihre Beiträge zum Projekt gebeten. Die Aufforderung ist, Fotomaterial beispielsweise von Persönlichkeiten, Plätzen, abstrakten Konzepten, Begriffen, Gegenständen, Aktivitäten, Berufen oder traditionellen Festen, die für die Einwohner bedeutend sind, zu schicken. Dieses Networking ermöglicht, dass ein minimaler Aufwand von jedem Teilnehmer einen wesentlichen Beitrag zu dem gesamten Register liefert. Die Kerngruppe dieses Projekts wird die Informationen sammeln, organisieren und auf einem digitalen Datenträger einem möglichst breiten Interessentenkreis zur Verfügung stellen.

Weiters ist in einer späteren Phase beabsichtigt, das gesammelte Material privaten oder staatlichen Institutionen zu zeigen, um eine Publikation in Form eines Buches zu ermöglichen. Das heißt, dass das Ergebnis der ersten Phase aussagekräftig genug sein soll, um private Förderer respektive Verlage für eine Publikation zu gewinnen.

Zeitaufwand

Für diese erste Phase muss man mit mindestens 12 Monate rechnen:

Präsentation vorbereiten
Organisationen kontaktieren und besuchen
EDV vorbereiten, um die Menge von Daten zu bewältigen
Glossar verfassen
Journalistische Beiträge verfassen
Information verwalten und verfassen
CD publizieren

Personal

2 Leute für Kontakte und Verwaltung (die beiden Antragsteller)
1 EDV Techniker für die technische Bewältigung des Projekts
1 Graphiker
6 Journalisten  resp. Wissenschafter für je einen Textbeitrag und Glossar

Budget
(siehe Anhang)

© Geraint Williams, Enrique Guitart
Wien, Juni 2006

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Radio Tlön - Freies Radio Wien


Wir sind gerade dabei, ein Radioprogramm zu entwickeln - ein Forum für Neugierige, für Information und Austausch. Für ÖsterreicherInnen und für hier in Österreich lebende AusländerInnen.
Radio Tlön soll ein Radioprogramm sein, das von Menschen erzählt, und Menschen gemacht wird - unabhängig von der Schattierung der Haut oder Perfektion der Deutschkenntnisse.

Ziel

Über den Menschen zu sprechen, den möglichen, nicht den utopischen.
Versuchen, indem wir über das Alltägliche sprechen, die Grenzen der Länder, der Sprache, zu überwinden, um zu sehen, was bleibt. Was uns vereint. Die Verschiedenheiten zu akzeptieren, kann auch ein Beitrag zu einem besseren Verständnis, zu einer Verbindung, sein.

Konzept

Aufgrund von uns erstellten Themen ein offenes Programm zu machen, sowohl durch eingeladene Leute als auch durch Reportagen oder Anrufmöglichkeiten ins Studio, die mit verschiedenen Farben dazu beitragen, das zu gestalten, was das mögliche Endbild des Programmes sein soll.

Mittel

Berichte und Beobachtungen, Reportagen, Menschenportraits, Interviews, Literaturbeiträge - Bücher, Artikel, Selbstproduziertes - eingeladene Leute, etc.

Sprache

Deutsch soll die "Verkehrssprache" sein, was aber nicht bedeutet, daß nicht auch Beiträge in den jeweiligen Muttersprachen gemacht werden können.

Warum Radio Tlön?

Daß in Österreich ein ernstzunehmendes Potential an Fremdenfeindlichkeit besteht, ist eine Tatsache. Die Ursachen dafür sind oft diskutiert worden (werden es auch weiterhin), die Auswirkungen bekommen viele tagtäglich zu spüren.
Natürlich ist ein Weg das politische Agieren gegen rechte Strömungen, was aber oft nur zur Verhärtung der "Fronten" führt, zur Radikalisierung, und nur selten zu größerem Verständnis oder der Verminderung einer, wenn auch künstlich geförderten und dadurch übersteigerten, Angst.
Das scheinbar so "Fremde", das "Andere" bleibt genauso undurchsichtig, furcht- und schließlich aggressionserzeugend.
"Die Ausländer" werden zu einer anonymen Masse, die die eine Seite angreift, die andere zu schützen versucht. Menschen, die (oder deren Eltern) in anderen Ländern geboren wurden, sind gezwungen, über ihre Identität und ihr Wesen eine Haut zu ziehen, die mit dem Etikett "Ausländer" oder "Ausländerin" versehen ist.
Deshalb ein Radioprogramm, für deutsch- und anderssprachige in Österreich lebende Menschen, als verbindendes Projekt.


© Edith Blaschitz, Erna Etzer, Enrique Guitart
Wien, April 1993